14.02.2024

Petition zur Rettung der ambulanten Versorgung

„Diese Praxis ist mein viertes Kind“

Das Foto zeigt die Tübinger Frauenärztin Dr. Ruth Mayer in ihrer Praxis.
Dr. Ruth Mayer in ihrer Praxis in Tübingen: Die Gynäkologin kämpft für den Erhalt der ambulanten Versorgung. Foto: privat

Sechs Ziffern stehen für die gesunde Zukunft eines ganzen Landes: 158622. Dahinter verbirgt sich die Kenn-Nummer der Bundestagspetition zur Rettung der ambulanten Versorgung. Am 19. Februar berät der Petitionsausschuss das Anliegen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Höchste Zeit, wie ein Blick in deutsche Praxen zeigt – andernfalls droht der Kollaps.

 

Was Dr. Karsten Bunge ausspricht, gilt nahezu für alle Niedergelassenen: „Als Kardiologe betreue ich mit meinem Praxisteam viele Patienten schon seit Jahren engmaschig. Es macht Spaß zu sehen, wie diese Patienten vom medizinischen Fortschritt profitieren. Es ist sehr traurig zu sehen, dass diese umfangreiche ambulante Tätigkeit von der Gesundheitspolitik nicht richtig wertgeschätzt wird.“ Bereits im vergangenen August hat der Facharzt für Kardiologie aus Schwerin auf den Missstand in der ambulanten Versorgung hingewiesen. Ihm geht es wie den meisten Kolleginnen und Kollegen aus den rund 100.000 Arzt- und Psychotherapiepraxen in der Republik.

Praxen-Petition vorm Ausschuss

Mit weit mehr als einer halben Million Unterschriften haben die Menschen in Deutschland deshalb eine Bundestagspetition unterstützt, die eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung fordert (Klartext berichtete). Am Montag, 19. Februar 2024, nimmt sich der Petitionsausschuss im Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel des Themas in einer öffentlichen Sitzung an.

„Die wohnortnahe, flächendeckende und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung rund um die Uhr war ein Wert, der unser Land ausgezeichnet hat und den die Bürgerinnen und Bürger schätzten“, heißt es unter anderem im Text der Petition. „Jetzt aber stehen die Praxen vor dem Kollaps, sie arbeiten bis zum Anschlag und ihre Kräfte gehen zur Neige.“

Die KBV-Petition wurde in nur einem Monat über 545.000 mal gezeichnet. Foto: KBV

Genau das erlebt auch die Tübinger Frauenärztin Dr. Ruth Mayer. „Eines muss allen klar sein: Es geht um den Fortbestand unserer Versorgung. Die ganze Welt beneidet uns um unser Gesundheitssystem. Es gibt kein besseres.“ Die niedergelassene Gynäkologin hofft, dass Politikerinnen und Politiker das endlich verstehen: „Im Grunde ist es nicht anders als bei Schulen oder der Bahn – es geht um den Erhalt der ganzen Infrastruktur.“

Bürokratie-Entlastung erforderlich

1986 begann Mayer ihr Medizinstudium, arbeitete nach ihrer Facharztausbildung in verschiedenen Frauenarztpraxen. Von 2008 bis 2016 war sie Mitinhaberin einer Gemeinschaftspraxis, seit 2017 führt die dreifache Mutter ihre eigene Praxis. Mit viel Engagement und Herzblut, stets im Einsatz für ihre Patientinnen. Auch außerhalb der regulären Sprechstundenzeit. „Alle Schwangeren bekommen meine Handynummer, so dass sie mich notfalls auch am Wochenende erreichen können“, verrät Mayer.

Neben den regulären Sprechzeiten kommen administrative Dinge hinzu, die sie zu erledigen hat. Dafür gehen Wochenenden und Abende in der Woche drauf. „Die Bürokratie ist ein großer Hemmschuh. Da brauchen wir dringend Entlastung.“ Mayer ist Ärztin mit Leib und Seele. „Der Beruf ist im Grunde ausgesprochen attraktiv. Und er würde es auch bleiben, wenn uns das Bundesgesundheitsministerium nicht zunehmend behindern würde.“

Das Foto zeigt den Reichstag und das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel, wo der Petitionsausschuss über die Zukunft der ambulanten Versorgung berät.
Der Reichstag und das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel: Hier tagt der Petitionsausschuss und berät über die Zukunft der ambulanten Versorgung. Foto: IMAGO /Stefan Zeitz

Gesundheitssystem bröckelt

Letztlich stehe unser komplettes Gesundheitssystem auf der Kippe. „Schauen Sie sich nur die gravierenden Nachwuchsprobleme in unserem Beruf an!“, warnt die Tübinger Ärztin. Die Probleme, die in der Petition benannt sind – zum Beispiel eine fehlende tragfähige Finanzierung, die Abschaffung von Budgets, eine sinnvolle Digitalisierung, weniger Bürokratie –, kennt sie bestens aus ihrem Alltag. „Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern ganz grundsätzlich um den Fortbestand der Versorgung“, so Mayer. Sie kann nicht nachvollziehen, warum von Politik-Seite aus nicht gemeinsam mit der Ärzteschaft nach Lösungen gesucht wird, sondern über deren Köpfe hinweg Vorgaben gemacht werden. Wie so viele Niedergelassene möchte die Ärztin nur eins – ihren Job machen. Mayer: „Diese Praxis ist mein viertes Kind.“

Ein solches Verständnis von ihrer Aufgabe findet sich bei ausnahmslos allen Vertragsärztinnen und -ärzten sowie -psychotherapeutinnen und -psychotherapeuten quer durchs Land. Wie zum Beispiel Dr. Michael Emken, Facharzt für Allgemeinmedizin aus Bad Segeberg: „Ich mache meinen Job immer noch sehr gerne und ich war eigentlich immer stolz darauf, in einem der besten Gesundheitssysteme der Welt arbeiten zu dürfen. In den letzten Jahren fängt dieses Gesundheitssystem an zu bröckeln.“

Als öffentliche Sitzung wird die Anhörung am 19. Februar 2024 ab 12 Uhr auf bundestag.de sowie im Parlamentsfernsehen live übertragen. Die Aufzeichnungen werden im Anschluss auf der Internetseite des Bundestages (https://www.bundestag.de/mediathek) bereitgestellt.

Weitere Informationen zum Termin finden sich auf der Seite des Petitionsausschusses. 

Der Petitionstext sowie die Zahlen sind weiterhin unter dem Titel „Vergütung für medizinische Leistungen – Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung“ mit der ID 158622 abrufbar.

Politik muss handeln

KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen kennt die Nöte der Kolleginnen und Kollegen nur zu gut. Der überwältigende Vertrauensbeweis, den die große Anzahl der Unterschriften für die Petition widerspiegelt, ist für ihn ein unmissverständliches Zeichen an die Politik: „Die Bürgerinnen und Bürger machen sich große Sorgen um den Erhalt der wohnortnahen und qualitativ hochwertigen ambulanten Versorgung. Sie rufen die Politik zum Handeln auf. Jetzt und sofort!“

Es seien die Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung, die die Niedergelassenen zunehmend verzweifeln ließen, so der KBV-Chef. „Sie ersticken an einem zunehmenden Wust an Bürokratie und baden die Folgen einer insgesamt schlecht gemachten Digitalisierung aus, für die sie auch noch abgestraft werden, obwohl sie die technischen Umsetzungen nicht zu verantworten haben.“ Für Gassen steht fest: „Bei dieser Petition geht es um die ambulante Versorgung der über 70 Millionen gesetzlich versicherten Menschen in Deutschland.“

 

Thomas Schmitt