05.09.2023

Gesundheit anderswo

Kroatien: Sonne, Strand und Ärztemangel

Das Foto zeigt die Altstadt von Dubrovnik und die Flagge der Republik Kroatien.
Die Altstadt von Dubrovnik ist nicht erst seit „Game of Thrones“ ein kultureller Höhepunkt für Reisende in Kroatien. Während immer mehr Touristen in das Land an der adriatischen Küste kommen, wandern zunehmend Ärztinnen und Ärzte ab. © Adobe Stock / AmazingAerialAgency

Das Land an der Adriaküste setzt stark auf Tourismus – auch im medizinischen Bereich. Seit einigen Jahren zieht Kroatien zunehmend ausländische Medizinstudierende an, während es vor Ort an Ärztinnen und Ärzten mangelt. Gehen dem Land also schon bald die Medizinerinnen und Mediziner aus?



Sonne, Strand und Meer – bei Kroatien denken viele zuerst an Urlaub, und das zu Recht: Jedes Jahr zieht das südeuropäische Land Millionen von Touristinnen und Touristen an. Dennoch kämpft Kroatien, das 1991 seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte, bis heute mit den Nachwirkungen des Balkankrieges. Auch aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen und Korruption ringt das Land darum, wirtschaftlich und infrastrukturell auf das Niveau anderer europäischer Staaten zu gelangen.  

Tourismus und Medizin

Als bisher letzter Kandidat trat Kroatien 2013 der Europäischen Union bei. Anfang 2023 löste der Euro die bisherige Währung Kuna ab. Zeitgleich wurde das Land Teil des Schengen-Raums, was den Tourismus weiter fördern soll. 2021, mitten in der Corona-Pandemie, trafen bereits mehr als 18 Millionen ausländische Urlauberinnen und Urlauber auf die knapp vier Millionen Kroatinnen und Kroaten.

Das Foto zeigt eine Landkarte auf der ein Miniatur-Verkehrsflugzeug, rein Reisepass und ein Stethoskop liegen.
Ob ästhetische Zahnbehandlung oder In-vitro-Fertilisation: Immer mehr private Kliniken in Kroatien bieten medizinische Dienstleistungen für ausländische Gäste an. © Adobe Stock / Gecko Studio

Die kroatische Wirtschaft ist vom Tourismus abhängig. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie wurde dies besonders deutlich, als die kroatische Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr um etwa acht Prozent sank. Seitdem steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) allerdings wieder an, sodass Kroatien 2021 mit einem BIP von fast 18.000 US-Dollar pro Kopf vor Slowenien und Serbien rangierte. Für das laufende Jahr wird eine Steigerung auf über 20.000 US-Dollar prognostiziert.

Dieser Zuwachs wurde auch über Gesundheitstourismus erreicht – denn Reisen, die Urlaub und medizinische Eingriffe miteinander verbinden, werden immer beliebter. Das liegt vor allem daran, dass die Kosten für Eingriffe in Kroatien deutlich niedriger sind als in anderen europäischen Ländern. Besonders häufig kommen ausländische Patientinnen und Patienten für In-Vitro-Fertilisationen, kosmetische Chirurgie, Zahnbehandlungen oder orthopädische Operationen in das Land. Für Kroatien bietet der Medizintourismus eine Chance auf zusätzliches Wirtschaftswachstum, da dadurch auch die Nachfrage nach telemedizinischen Gesundheitsleistungen, beispielsweise Videosprechstunden, steigt.

Die wachsenden Einnahmen kann das Land gut gebrauchen. Durch den rückläufigen Tourismus im ersten Pandemiejahr 2020 und damit fehlende Einnahmen der Bürgerinnen und Bürger gingen auch die Beitragszahlungen zur Krankenversicherung zurück. Diese Lücke musste durch staatliche Zuschüsse ausgeglichen werden. Traditionell gaben kroatische Bürgerinnen und Bürger aber auch schon vor der Pandemie relativ wenig Geld für ihre Gesundheitsversorgung aus. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP ist in Kroatien mit sieben Prozent im EU-Vergleich eher gering. Das hiesige Gesundheitssystem wird zum größten Teil durch öffentliche Gelder getragen. 2019 machten diese fast 82 Prozent der Ausgaben aus.  

Gesundheitsminister Vili Beroš mit Sanja Musić Milanović, First Lady von Kroatien. Im Mai 2023 startete beim „Summit of the Spouses of European Leaders“ in Zagreb ein Netzwerk zur Prävention von Übergewicht bei Kindern in der WHO-European Region, die aus 53 Ländern besteht. © Imago / SlavkoxMidzor/PIXSELL

Zentralisiertes System

Das Gesundheitssystem Kroatiens ist zentralisiert aufgebaut. Kroatische Allgemeinkrankenhäuser und viele Spezialkliniken befinden sich in öffentlicher Hand. An den staatlichen Universitätskliniken werden Ärztinnen und Ärzte ausgebildet. Das Gesundheitsministerium ist für die Umsetzung der nationalen Entwicklungsstrategie 2021 bis 2027 verantwortlich. Ihr Ziel ist es, den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Altersgruppen zu verbessern und die Qualität der Versorgung, auch durch reduzierte vermeidbare Krankenhauseinweisungen, anzuheben.

Die allgemeinmedizinische Versorgung wird weitestgehend durch selbstständige Ärztinnen und Ärzte sichergestellt. Öffentliche Gesundheitszentren und Apotheken steuern die 21 Verwaltungseinheiten (Zupanije). Damit eine ausreichende medizinische Versorgung für alle möglich ist, muss pro Zupanije mindestens ein öffentliches primäres Versorgungszentrum für Patientinnen und Patienten vorhanden sein.  

Alle kroatischen Bürgerinnen und Bürger sind über die staatliche Krankenkasse „HZZO“ versichert – in Deutschland gibt es 96 gesetzliche Kassen. © Hrvatski zavod za zdravstveno osiguranje, HZZO

Eine Krankenversicherung für alle

Staatlich ist auch die kroatische Krankenversicherung „Hrvatski zavod za zdravstveno osiguranje“ (HZZO). Alle Staatsbürgerinnen und -bürger Kroatiens – inklusive aller Menschen, die sich offiziell länger als drei Monate im Land aufhalten – genießen durch den Träger einen Krankenversicherungsschutz. Angestellte zahlen über ihren Arbeitgeber ein und auch Selbstständige sind zu Zahlungen in den HZZO verpflichtet. Wer nicht arbeitet, wird über einzahlende Familienmitglieder mitversichert. Menschen, die einer besonders vulnerablen Gruppe angehören, sind von Zahlungen befreit. Dazu gehören unter anderem Rentnerinnen und Rentner sowie Menschen mit geringem Einkommen. Wenn Patientinnen und Patienten Leistungen in Anspruch nehmen, die vom HZZO nicht gedeckt sind, müssen diese Geldbeträge entweder direkt bezahlt oder über eine private Zusatzversicherung geleistet werden.

Im Mittel gibt es in Kroatien aber eher wenig Selbstzahlungen. Dafür sind die generellen Ausgaben für Arznei- und Heilmittel mit mehr als 20 Prozent der Gesundheitsausgaben sehr hoch – in Deutschland waren es 2022 knapp 8 Prozent. Doch neben hohen Kosten für Medikamente hat Kroatien noch ganz andere Probleme, und zwar bei der Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger und insbesondere den vermeidbaren Todesfällen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der kroatischen Bevölkerung liegt fast drei Jahre unter dem EU-Durchschnitt.  

Ganze 20 Prozent aller Todesfälle in Kroatien gehen auf das Rauchen zurück. Um das zu ändern, müssen Nichtraucherschutz und Präventionsmaßnahmen verbessert werden. © Imago / AntonioxJakus/PIXSELL

Hohe Sterblichkeit bei Krebs

Das liegt auch daran, dass das Land unter allen EU-Staaten eine der höchsten Sterberaten bei Darm- und Lungenkrebs hat. 20 Prozent aller Todesfälle gehen auf das Rauchen zurück. 22 Prozent der kroatischen Bevölkerung gab 2019 an, täglich zu rauchen. Wie auch in anderen Ländern ist der Anteil an Rauchenden unter weniger gebildeten Menschen größer. Gründe für den erhöhten Anteil rauchender Menschen sind unzureichende gesundheitspolitische Maßnahmen, wie Nichtraucher-Schutz und ein daraus resultierender Mangel an rauchfreien Räumen. Auch fehlt es an medialen Aufklärungskampagnen und damit an Präventionsmaßnahmen. Die kroatische Regierung entwickelte Vorsorgeprogramme für 2020 bis 2030, um Krebserkrankungen frühzeitiger erkennen und behandeln zu können.

Neben Krebs sind auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte in der kroatischen Bevölkerung weit verbreitet. Das hat neben dem Rauchen auch mit zunehmendem Übergewicht zu tun. Die Regierung reagierte darauf mit Programmen, die gesunde Ernährungsweisen fördern sollen.

Pandemie und digitale Gesundheitsdaten

Präventionsmaßnahmen waren auch in der Corona-Pandemie von Vorteil. So ließ sich das Virus durch Testungen besser nachverfolgen und Ansteckungen wurden reduziert. Die kroatische Bevölkerung wurde während der Pandemie allerdings wenig getestet. Im ersten Corona-Jahr lag die Sterberate bei Covid-19 mit sieben Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland. Das lag auch an einer insgesamt niedrigeren Impfquote. Bis Juni 2023 erhielten knapp 56 Prozent der kroatischen Bevölkerung die vollständige Impfdosis, also drei Impfungen. In Deutschland sind es mehr als 74 Prozent. Auch eine Nachverfolgung von Kontakten, die dazu beiträgt, Ansteckungen zu vermeiden, fand in Kroatien kaum statt.

Das Foto zeigt Präsident Gordan Jandroković, Premierminister Andrej Plenković und Gesundheitsminister Vili Beroš bei der gemeinsamen Corona-Impfung.
Präsident Gordan Jandroković, Premierminister Andrej Plenković und Gesundheitsminister Vili Beroš (v. l. n. r.) ließen sich am 24. März 2021 medienwirksam gegen das Corona-Virus impfen. © Imago / JuricaxGaloic/PIXSELL

Das Verfolgen von Kontakten erkrankter Personen geht immer mit der Nutzung digitaler Daten einher. Eine solche Vernetzung der Gesundheitsversorgung spielte für die kroatische Regierung schon vor der Pandemie eine Rolle. Unter Administration des HZZO baute das Gesundheitsministerium ein „Integrated Healthcare Information System“ (IHCIS) auf. Es ermöglicht die zentrale digitale Speicherung von Gesundheitsdaten der kroatischen Bevölkerung. Durch das IHCIS sollen alle Akteure im Gesundheitswesen miteinander vernetzt werden. Künftig sollen auch telemedizinische Angebote, Wissensaustausch, klinische Richtlinien und KI-gestützte Entscheidungsfindung in das System integriert werden.

Erste Anlaufstelle Allgemeinmediziner

Umfangreiche Informationen über ihre Patientinnen und Patienten spielen auch für Hausärztinnen und Hausärzte eine wichtige Rolle. Bei gesundheitlichen Beschwerden ist in Kroatien die erste Anlaufstelle meistens eine Allgemeinmedizinerin oder ein Allgemeinmediziner. Diese können eine weitere Behandlung bei Fachärztinnen und -ärzten anordnen. Sie sind somit „Gatekeeper“, die die Kliniken und Fachärzte entlasten. 23,7 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Kroatien waren 2019 als Allgemeinmediziner tätig. Die meisten von ihnen arbeiten als Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit dem HZZO zusammen. Dieser gibt ein Limit von maximal 25 Prozent Ärztinnen und Ärzten in der Primärversorgung vor, die in öffentlichen Gesundheitszentren arbeiten dürfen. 75 Prozent arbeiten in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen. Die Patientinnen und Patienten können ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin frei wählen.

Grafik: KloseDetering, Freepik

Das kann aber außerhalb der städtischen Ballungszentren, insbesondere wenn eine fachärztliche Behandlung benötigt wird, schwierig werden. Auf einen Facharzttermin wartet man in Kroatien generell sehr lange – das ist seit Jahren Alltag. Im Jahr 2017 führte das Gesundheitsministerium deshalb eine priorisierte Warteliste ein. Menschen, die den Verdacht auf eine schwere Erkrankung haben, sollen dadurch schnelleren Zugang zu fachärztlicher Behandlung, die hauptsächlich im Krankenhaus erfolgt, erhalten.

Die Gesundheitsversorgung ist in der Zentralregion um Zagreb deutlich besser als in ländlichen Gebieten. Obwohl die Zahl an Fachkräften in Gesundheitsberufen gestiegen ist, gibt es in Kroatien und insbesondere auf den adriatischen Inseln einen Mangel an ihnen. Zunächst wurde unter anderem mit Lohnerhöhungen darauf reagiert. Um den Einsatz von Gesundheitsfachkräften effizienter zu gestalten, setzt die Regierung die 2020 verabschiedete Strategie für Personal im Gesundheitswesen um.  

Ärzte verlassen das Land

Das neue System zur besseren Personalsteuerung im Gesundheitswesen kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kroatien seit einiger Zeit mit einem Mangel an ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten kämpft. Aktuellen Aussagen der kroatischen Ärztekammer „Hrvatski liječnički zbor“ (HLZ) zufolge, wird die Anzahl an Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern in den nächsten fünf Jahren um 24 Prozent sinken. Parallel soll aber auch die Zahl an im Krankenhaus tätigen Medizinerinnen und Medizinern um fast den gleichen Wert steigen.

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte verlassen Kroatien. Sie gehen unter anderem in die Schweiz, nach Österreich oder Deutschland, um dort unter besseren Arbeitsbedingungen und für bessere Löhne zu praktizieren. HLZ-Präsident Krešimir Luetić konstatierte, dass der Rückgang an Hausärztinnen und Hausärzten in einigen Jahren „untragbar“ sein werde. Auch Pflegekräfte kehrten dem Land in größerer Zahl den Rücken. Mit knapp sieben Fachkräften je 1.000 Personen liegt Kroatien unter dem EU-Schnitt. In Deutschland kommen dagegen etwa 14 Pflegefachkräfte auf 1.000 Menschen. Weil die Bettenzahl aber EU-weit am höchsten ist, ergibt sich für Deutschland eine der niedrigsten Quoten an Pflegerinnen und Pflegern.  

Angehörige medizinischer Berufsgruppen, wie Pflegefachkräfte und Medizintechniker, protestierten am 3. Mai 2023 vor dem Universitätsklinikum Dubrava in Zagreb. Geschlossen forderten sie bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. © Imago / MarkoxPrpic/PIXSELL

Fürs Medizinstudium nach Split

Auch in Deutschland fehlt es neben Pflegefachkräften zunehmend an Ärztinnen und Ärzten. Der limitierte Zugang zum Medizinstudium an staatlichen deutschen Hochschulen steht auch durch einen hohen Numerus Clausus immer wieder in der Kritik. Zahlungskräftige Studienwillige haben seit einiger Zeit die Möglichkeit, über private Hochschulen an einer Partner-Universität in Kroatien Medizin zu studieren – zum Beispiel in Split. Für das sechsjährige Studium in der „Mediziner-Diaspora“, von denen drei Jahre an der kroatischen Universität absolviert werden, fallen rund 80.000 Euro an. Nach bestandener Abschlussprüfung tragen Absolventinnen und Absolventen den europäischen Titel „Medical Doctor“.

Ein privates Medizinstudium im Ausland stellt eine Möglichkeit dar, den Wunschberuf Arzt oder Ärztin zu ergreifen. Für Kroatien löst das Vorgehen jedoch nicht die Probleme, die mit dem Abwandern vieler Ärztinnen und Ärzte aus dem Land einhergehen. Es braucht neue Strategien für eine verbesserte Gesundheitsversorgung, die auch durch mehr Medizinstudienplätze und eine gezielte Steuerung von Gesundheitsfachkräften sowie Patientinnen und Patienten gelingen kann.

Katharina Lenz