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10.05.2023

Im Gespräch

„Entbudgetierung für alle Fachgruppen ist die einzig sinnvolle Zukunftsoption“

Das Foto zeigt Dr. Annette Rommel, die Vorstandsvorsitzende der KV Thüringen.
Dr. Annette Rommel, Vorstandsvorsitzende der KV Thüringen. Foto: KV Thüringen

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen, braucht es in erster Linie Fachkräfte und eine solide Finanzierung dieser sowie der Strukturen. Aus unserer Sicht brauchen wir zunächst gut weitergebildete Fachärztinnen und Fachärzte aller ambulant tätigen Fachgruppen, zahlenmäßig am meisten die der Allgemeinmedizin.

Nicht weniger wichtig sind Medizinische Fachangestellte mit unterschiedlichen Qualifikationen und andere Gesundheitsberufe, die in kooperativen Strukturen zusammenarbeiten können. Dazu braucht es entsprechende Rahmenbedingungen, die nicht nach Farbe und Gusto einer jeweiligen Regierungspartei wechseln. Die Struktur der ambulanten Versorgung muss strategisch und langfristig ausgerichtet sein, unter Nutzung der Erfahrung der Expertinnen und Experten für die Versorgung – und das sind die Ärztinnen und Ärzte selbst mit ihren Selbstverwaltungsorganen.



2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

Für die nächsten Jahre gibt es nicht nur ein Thema, sondern viele, die ineinandergreifen und die die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung im Land sichern.

Die KV Thüringen

Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen mit Sitz in Weimar ist die Selbstverwaltung der rund 4.200 Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten in Thüringen. Die Vorstandsvorsitzende Dr. Annette Rommel hat ihr Amt seit 2012 inne. Sie wurde im Januar 2023 wiedergewählt.

Da ist zum einen die Gewinnung von genügend Fachärztinnen und -ärzten für die Besetzung der offenen Sitze in den Planungsbereichen, seien es Haus- oder Gebietsärzte. In Thüringen brauchen wir vor allem Fachärztinnen und Fachärzte für Augenheilkunde, Dermatologie und Neurologie.

Nachwuchsförderung ist ein prioritäres Thema und somit die Fortsetzung und Ergänzung vieler weiterer Maßnahmen in Thüringen. Wir wollen unsere Stiftung zur Förderung der ambulanten Versorgung ausbauen und weitere Stiftungspraxen errichten. Vielleicht gelingt uns ja sogar ein KV-geführtes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ).

Um der Versorgung der Bevölkerung mit ihrem wachsenden Behandlungsbedarf aufgrund von Demographie und Morbidität gerecht zu werden, ist es unabdingbar, dass alle abgeforderten und notwendigen Leistungen auch bezahlt werden. Das heißt, Entbudgetierung für alle Fachgruppen ist die einzig sinnvolle Zukunftsoption für das ambulante Gesundheitswesen. Angst vor Leistungsausweitung muss keiner haben. Aber die Schaffung notwendiger Kapazitäten wird unsere Terminprobleme lösen können.

Wir werden zukünftig auch verstärkt kooperative Versorgungsstrukturen fördern. Dazu zähle ich nicht nur die Etablierung von Teampraxen, sondern auch die Erweiterung von Strukturen der Notfallversorgung um Krankenhaus-Notfallaufnahmen, Integrierte multiprofessionelle Versorgungszentren und die Ambulantisierung von ambulant sensitiven Krankenhausfällen mit sektorengleicher Vergütung.

Wir schauen auch über den Tellerrand hinaus und wissen: Nicht nur telemedizinische Projekte sind auf dem Vormarsch, sondern Medizin und Praxisführung müssen zukünftig verstärkt Klimaschutzaspekte berücksichtigen. Dazu werden wir gemeinsam mit unseren Ehrenamtlern Konzepte erarbeiten.



3. Wie möchten Sie es anpacken?

Wir packen das in der KV Thüringen gemeinschaftlich an – mit unseren Mitgliedern der Vertreterversammlung, der beratenden Fachausschüsse bis hin zu den Regionalstellen und natürlich mit einem gut aufgestellten Team der Verwaltung. Wir nutzen Förderungen des Landes und arbeiten mit unseren Vertragspartnern eng zusammen, um unsere gemeinsamen Ziele zu verwirklichen. Unser Motto tragen wir im Namen: kvt – klar, verlässlich, transparent.

Das Foto zeigt eine medizinische Fachangestellte, die bei einem Patienten den Blutdruck misst.
Für die Zukunft der Praxen sind genügend Medizinische Fachangestellte ebenso wichtig wie Ärztinnen und Ärzte, sagt Dr. Annette Rommel, Vorstandsvorsitzende der KV Thüringen. Foto: IMAGO / Shotshop



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Die ärztliche Selbstverwaltung ist ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Der Staat hat uns, den Ärztinnen und Ärzten, die Verantwortung für die Organisation der Versorgung der Bevölkerung übertragen und dieser werden wir gerecht. Wir sind nicht die egoistischen Lobbyisten, als die wir gerade vom amtierenden Gesundheitsminister abgestempelt werden. Wir sind die Expertinnen und Experten für die Versorgung und damit eine wichtige Säule der sozialen Sicherheit in diesem Land. Wir sind flexibel und auch in Krisensituationen stets effizient einsetzbar. Das haben wir in der Pandemie bewiesen. Wir arbeiten gemäß unseres Leitbildes: Wir sind KV. Wir sind anders. Wir gehen neue Wege.

5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Von der Politik wünsche ich mir ein langfristiges strategisches Denken und Planen, gerade in so einem sensiblen Sektor wie der Gesundheitsversorgung des Landes. Ich wünsche mir die Konzentration auf die Weiterentwicklung der Strukturen mit dem Fokus, auf Bewährtem aufzubauen, Neues zu wagen, realistisch zu sein und keine neuen Strukturen zu schaffen, die von unnötigen Schnittstellen und ungewissem Nutzen geprägt sind. Ich wünsche mir die intensive Beteiligung der Selbstverwaltung an allen gesundheitspolitischen Entscheidungen und kein Ausspielen der einzelnen Protagonistinnen und Protagonisten gegeneinander. Ich wünsche mir eine solide Finanzierung der ambulanten Versorgung – eine volle Bezahlung des Preises jeder Leistung und keinen „Basar“ bei den Verhandlungen um den Behandlungsbedarf der Bevölkerung. Ich möchte, dass wir uns alle auf Augenhöhe begegnen.

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