01.06.2023

Im Gespräch

„Es braucht die Wertschätzung der Politik“

Das Foto zeigt von links nach rechts: Mathias Tronnier, den geschäftsführenden Vorstand der KV Sachsen-Anhalt, Dr. Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender, und Dr. Holger Grüning, stellvertretender Vorstandsvorsitzender.
Mathias Tronnier, geschäftsführender Vorstand der KV Sachsen-Anhalt (v. l. n. r.), Dr. Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender, und Dr. Holger Grüning, stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Foto: © KVSA / Rayk Weber

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Ganz klar: Die Expertise der ambulant tätigen Haus- und Fachärzte sowie Psychotherapeuten muss mehr Berücksichtigung finden und in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Es braucht die Wertschätzung der Politik.

Die Berufe Ärztin, Arzt, Psychotherapeutin, Psychotherapeut und medizinische Fachberufe müssen wieder attraktiver werden. Dazu muss die Vergütung in der aktuellen Systematik die Kostensteigerungen in den verschiedensten Bereichen abbilden, ohne Zeitverzug. Perspektivisch muss die Budgetierung endlich abgeschafft werden. Das Honorar muss der Leistung folgen. Eine Verlagerung der Morbidität auf die ambulant tätigen Haus- und Fachärztinnen und -ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten darf es zukünftig nicht mehr geben. Das arztentlastende Arbeiten in Teamstrukturen muss gefördert werden statt durch neue, arztferne Angebote teure Parallelstrukturen mit neuen Schnittstellen aufzubauen. Die Digitalisierung muss auch aus der Anwender-Perspektive der Ärzte und Psychotherapeuten gedacht werden und vor allem Mehrwerte für die Patienten und das Praxisteam beinhalten, nicht nur Mehraufwand für die Praxen bringen.

Die Weiterbildung wird zukünftig viel stärker im ambulanten Bereich stattfinden müssen, da hier die allermeisten Patientenprobleme gelöst werden. Dazu müssen die quantitativen Begrenzungen der Förderung im fachärztlichen Bereich aufgehoben, eine Regelung zur Förderung der psychotherapeutischen Weiterbildung geschaffen werden. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss deshalb auch vollständig unabhängig von den Kassenärztlichen Vereinigungen finanziert werden.

Die Krankenhausstrukturreform kann und darf nicht zulasten der ambulant tätigen Haus- und Fachärzte erfolgen. Ohne mehr Personal in der ambulanten Versorgung wird die Ambulantisierung nicht gelingen. Der Leistung muss auch das Geld folgen. Die Reformierung der Notfallversorgung muss mit Augenmaß erfolgen und darf nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die ambulant tätigen Haus- und Fachärzte werden.

Speziell in Sachsen-Anhalt benötigen wir dringend mehr Ärzte zur Nachbesetzung, aus unserer Sicht somit auch mehr Studienplätze. Nicht nur, weil beim Nachwuchs eine ausgeglichene Work-Life-Balance immer mehr Raum einnimmt und somit die generelle Arztzeit sinkt, sondern auch, weil die Ambulantisierung sich weiter dynamisch entwickeln wird und die Menschen immer älter werden und damit auch mehr ambulante ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen.



2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

Es sind mehrere Themen, die es beharrlich zu verfolgen gilt: Es braucht mehr Medizinstudienplätze, um die medizinische Versorgung der Menschen auch in Zukunft weiterhin gewährleisten zu können, und insbesondere mehr Absolventen, die im schönen Sachsen-Anhalt Ärztin oder Arzt werden möchten. Das fordert die KVSA seit Jahren. Und dieses Postulat hat auch Eingang in den Koalitionsvertrag im Land gefunden. Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister hat diese Forderung jüngst unterstrichen. Das macht Hoffnung, dass die Anzahl der Plätze auch tatsächlich erhöht wird. Die Landarztquote muss massiv und sofort zugunsten der drohend beziehungsweise unterversorgten Regionen erhöht werden.

Die KV Sachsen-Anhalt

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt vertritt die Interessen von circa 4.300 Vertragsärztinnen und -ärzten sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten. Vorstandsvorsitzender ist Dr. Jörg Böhme, sein Stellvertreter ist Dr. Holger Grüning. Geschäftsführend im Vorstand ist außerdem Mathias Tronnier.

Wir werden weiter intensiv an Konzepten zur Versorgung des ländlichen Raumes arbeiten und unser Modell der KV-Eigeneinrichtungen bedarfsorientiert weiterentwickeln. Dabei werden auch telemedizinische Elemente und arztgeleitete Teamstrukturen zur Versorgung von Regionen mit wenig Bevölkerung eine stärkere Rolle einnehmen. Eine alleinige telemedizinische Versorgung ohne jegliche Arztpräsenz vor Ort wird nicht funktionieren.

Unser Nachwuchsförderprogramm werden wir weiterentwickeln im Sinne von „Finden und Binden“. Hierbei setzen wir auch auf die Unterstützung der Landespolitik, die sich in diesem Bereich engagieren muss. Und wie bereits oben dargestellt, muss es kurzfristig und perspektivisch eine auskömmliche Finanzierung des ambulanten Bereiches geben.



3. Wie möchten Sie es anpacken?

Gemeinsam mit unserer Vertreterversammlung positionieren wir uns politisch und bringen die Themen in die Politik ein und bei Gesprächen mit unseren Vertragspartnern an. Wir werden weiterhin und immer wieder im Sinne unserer Mitglieder die Regelungen, die aus unserer Sicht nicht im Sinne einer zukunftsgerichteten, flächendeckenden ambulanten Versorgung sind, anmahnen, generell Mitsprache einfordern und auf Schwachstellen hinweisen. Dafür bringen wir uns und unsere Mitarbeit in entscheidenden und verantwortlichen Gremien ein. Das, was wir selbst tun können im Rahmen unserer Möglichkeiten, werden wir weiterhin tun. Uns ist klar: nicht nur Kritik üben, sondern besser machen.

Das Foto zeigt eine Luftaufnahme des Universitätsklinikums Halle.
Die medizinischen Fakultäten und Kliniken in Sachsen-Anhalt – wie hier das Universitätsklinikum Halle – sollen aus Sicht des KVSA-Vorstands künftig noch mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden. Foto: IMAGO / Steffen Schellhorn



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Die Selbstverwaltung ist das Fundament der vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstverwaltung haben sich jedoch in den zurückliegenden Jahren erheblich verändert. Die staatlichen Vorgaben und Eingriffe haben deutlich zugenommen, die Entscheidungsfreiräume der Selbstverwaltung abgenommen. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.

Die Kassenärztliche Vereinigung als ärztliche Selbstverwaltung mit der Expertise ihrer Mitglieder, den Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten, ist weiterhin gewillt, die Versorgung im Land mitzugestalten und dabei die Interessen der Mitglieder einzubringen. Das ist ein hohes Gut und eine hohe Verantwortung zugleich.

 

5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Mehr Gehör für die Anliegen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten, mehr Wertschätzung der Leistungen der Praxisteams, mehr Verlässlichkeit in politische Entscheidungen. Denn wer behandelt die Patientinnen und Patienten, an wen wenden sie sich zuerst? Primär an die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, die die allermeisten Patientenprobleme lösen. Dennoch hat der Gesetzgeber eine sehr starke – aus unserer Sicht eine zu starke – Fokussierung auf die Krankenhäuser. In den Beratungsgremien findet Expertise der ambulanten Versorgung zu wenig Beachtung.

 



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