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03.05.2023

Im Gespräch

„Ich wünsche mir von der Politik weniger Vorgaben und mehr Kooperation“

Das Foto zeigt Mark Barjenbruch, den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Foto: KVN
Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KV Niedersachsen. Foto: KVN

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für die ärztlichen und psychotherapeutischen Niedergelassenen in Niedersachsen. Die Abschaffung der Budgetierung in allen Fachgruppen, weniger Bürokratie für mehr Patientenzeit und die Abkehr des politischen Fokus von Krankenhäusern in Richtung Vertragsärztinnen und -ärzten und Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten ist unerlässlich. Kritisch bewerte ich auch den eingeschlagenen Weg der Politik bei der Digitalisierung. Digitalisierung muss den Praxen dienen und auch finanziert werden. Ich fordere einen Neustart mit softwarebasierten Systemen statt Konnektoren.

2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

Die Fragmentierung der Versorgung durch Gesundheitskioske oder Regionale Gesundheitszentren – wie es die Politik propagiert – sehe ich kritisch. Ich bin für neue Versorgungskonzepte. Sie müssen aber gemeinsam mit der Ärzteschaft gestaltet werden. Um die Versorgung auf der richtigen Ebene zu gewährleisten, brauchen wir aber eine bessere Steuerung der Inanspruchnahme – besonders im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst und im Notdienst. Dazu werden wir neue Konzepte vorlegen.

Die KV Niedersachsen

Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen mit Sitz in Hannover vertritt über 16.000 niedergelassene Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Ihr Vorstandsvorsitzender Mark Barjenbruch steht dem Vorstand der KV seit 2011 vor.

Eine dringliche Forderung ist, dass wir mehr Medizinstudienplätze benötigen. Wir sehen, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit tätig sein möchten. Schon allein deswegen brauchen wir mehr ärztlichen Nachwuchs, um die Sicherstellung der ambulanten Versorgung aufrechterhalten zu können. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern aber auch klar sagen: Die Versorgung wird anders werden. Die Ärztin und den Arzt in jedem Dorf wird es in Zukunft nicht mehr geben. Wir brauchen auf jeden Fall eine stärkere Niederlassungsförderung – nicht nur von der KVN, sondern auch vom Land und von den Kommunen, die müssen auch finanzielle Anreize setzen, damit sich mehr Ärztinnen und Ärzte vor allem auf dem Land ansiedeln. Darüber hinaus muss das Einkommen planbar und auskömmlich sein. In den anstehenden Honorarverhandlungen muss es einen deutlichen Inflationsausgleich geben.


3. Wie möchten Sie es anpacken?

Wir werden freiberuflich-selbstständige Strukturen gerade dort stärken, wo die Versorgung absehbar schwieriger wird. Kooperationen zwischen zugelassenen und angestellten Ärztinnen und Ärzten, ergänzt um nicht-ärztliche Praxisassistenzen sind das Mittel der Wahl. Wir werden weiterhin die Niederlassung gerade in ländlichen Regionen finanziell fördern. Im Bereitschaftsdienst werden wir die Telefon- und Videosprechstunde ausbauen und Kooperationsangebote für die Notdienstzentralen entwickeln. Darüber hinaus werden wir den Fahrdienst im Bereitschaftsdienst reformieren. Wir werden unsere Mitglieder in allen Bereichen unterstützen und versuchen, unsere Vision zu verwirklichen. Wir schaffen und sichern für Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eine Arbeitswelt, in der sie unabhängig und erfolgreich sind, weil sie sich ausschließlich auf das konzentrieren können, was sie können und lieben: Patientinnen und Patienten helfen.

Das Foto zeigt eine Schild mit der Aufschrift "Hausarzt".
Die Ärztin oder den Arzt in jedem Dorf werde es in Zukunft nicht mehr geben, betont der KVN-Vorstandsvorsitzende Barjenbruch. Foto: IMAGO / Michael Gstettenbauer



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Der Grundpfeiler der vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung ist die Selbstverwaltung. Das autonome Gestalten der eigenen Arbeitsbedingungen ist gleichzeitig ein großes Privileg und erfordert eine hohe Verantwortung. Aber nur wenn die Selbstverwaltung gestalterische Freiräume erhält, kann sie ambulante Versorgung selbst gestalten. Nur mit Hilfe des Könnens und der Erfahrung möglichst vieler Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die aktiv ihre Mitbestimmungsrechte nutzen, kann auch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen in deren Interesse praxisnah handeln.



5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Mehr Wertschätzung für den ambulanten Bereich. Die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten bilden das Rückgrat der Versorgung. Sie sind unternehmerisch tätig, sie haben Gestaltungswillen und ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein für ihre Patientinnen und Patienten. Dies verlieren sie durch die zunehmenden Regulierungen, die von der Politik kommen. Es treibt einige Ärztinnen und Ärzte schon jetzt aus dem System. Die Politik der Regulierungen durch Gesetze ist völlig fehlgeleitet. Ich wünsche mir von der Politik weniger Vorgaben und mehr Kooperation.



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