14.06.2023

Im Gespräch

„Sehen ganz klar die politische Ebene in der Pflicht“

Das Foto zeigt Dr. Klaus Heckemann, den Vorstandsvorsitzenden der KV Sachsen und Dr. Sylvia Krug, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende.
Dr. Sylvia Krug, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, und Dr. Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender. Foto: KV Sachsen

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Ein Grundproblem ist die völlig ungeregelte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, sodass es sinnvoll wäre, dies strukturell zu steuern. Deutschland gehört im weltweiten Vergleich zu den Ländern mit der höchsten Zahl von Arzt-Patienten-Kontakten in der Bevölkerung. Ob dies das deutsche Gesundheitssystem weiter so leisten kann, ist zu bezweifeln und weniger ein Problem der monetären Ebene als eine Frage der Verfügbarkeit von ärztlichem wie auch nichtärztlichem medizinischen Personal. Bekanntlich zieht sich der Fachkräftemangel bundesweit durch alle Branchen und hat seine Ursache häufig in einer Verschiebung der Lebensmodelle: Work-Life-Balance wandelt sich zur Work-Life-Life-Balance – für einen Freizeitgewinn wird durchaus gern auf finanzielle Einnahmen verzichtet und weniger gearbeitet.

Um das Dilemma aufzulösen, gibt es einen Ansatz – wenn auch einen unpopulären: nämlich eine finanzielle Eigenbeteiligung der Patientinnen und Patienten für Arztbesuche. Als Steuerungselement im Gesundheitswesen hat in der Vergangenheit bereits die sogenannte Praxisgebühr ihre Wirksamkeit bewiesen: Es ist bezeichnend, dass in der Stadt Dresden, als damals die Praxisgebühr eingeführt wurde, die Inanspruchnahme im Bereitschaftsdienst (Fahrdienst) für die Ärztinnen und Ärzte um 40 Prozent rückläufig war. Das bedeutet, 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, die diese Leistung bisher in Anspruch genommen hatten, kamen zu dem Schluss, dass der Arztbesuch bis zum nächsten Werktag warten kann, denn es war ihnen keine 10 Euro wert, dass ein Arzt am Wochenende oder nachts zu ihnen nach Hause kam.

Eine solche Eigenbeteiligung muss selbstverständlich sozial abgesichert sein, damit auch Menschen mit geringem Einkommen medizinisch versorgt werden können. Ein Modell hierfür wurde bereits 2008 von der KV Sachsen präsentiert.



2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

In Sachsen werden wir mit den Auswirkungen einer immer älter werdenden Ärzteschaft konfrontiert. Insbesondere in ländlichen Regionen abseits der Einzugsgebiete der Großstädte zeichnen sich für die ebenfalls immer älter werdende Bevölkerung mehr und mehr Probleme in der ambulanten Versorgung ab. Der Ärztemangel besteht dabei in vielen Facharztgruppen und ganz besonders natürlich bei den Hausärztinnen und Hausärzten.


3. Wie möchten Sie es anpacken?

Auch wenn die KV Sachsen den Herausforderungen des Ärztemangels seit Jahren mit vielfältigen Förderprogrammen und innovativen Modellprojekten entgegenwirkt, so sehen wir ganz klar die politische Ebene in der Pflicht, hier regulierend einzugreifen.

Die KV Sachsen

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen ist die Interessenvertretung der rund 9.000 Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten im Freistaat. Vorstandsvorsitzender ist der Dresdner Allgemeinmediziner Dr. Klaus Heckemann, seine Stellvertreterin ist die Leipziger HNO-Ärztin Dr. Sylvia Krug.

Obwohl es mittlerweile an Universitäten eine „Landarztquote“ gibt und mehr Studienplätze für Humanmedizinerinnen und -mediziner zumindest versprochen worden sind, so ist es doch zwingend notwendig, sowohl den ländlichen Raum durch den Ausbau der Infrastruktur attraktiver zu gestalten, als auch innovative Steuerungsmöglichkeiten zu schaffen, damit sich junge Medizinerinnen und Mediziner dort niederlassen, wo sie am dringendsten von den Patientinnen und Patienten gebraucht werden.  



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Das „gemeinsame Dach der ärztlichen Selbstverwaltung“ ermöglicht es den unterschiedlichen Facharztgruppen, gegenüber der Politik wie auch gegenüber Kassen und Verbänden starke Positionen zu beziehen. Ziel unserer mitgliederorientierten Arbeit als KV Sachsen ist es, faire Bedingungen für alle Arztgruppen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu schaffen sowie mit unserer Vertreterversammlung Beschlüsse im Interesse unserer sächsischen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte umzusetzen.



Das Foto zeigt ein Hinweisschild, auf dem steht: "Arztpraxis 200 m".
Die Vorstände der KV Sachsen sehen zur Bekämpfung des Ärztemangels vor allem auch die Politik in der Pflicht. Foto: IMAGO / mhphoto



5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Die KVen stehen in der Pflicht, die Forderungen der Politik auf Landes- wie auf Bundesebene umzusetzen und dies wollen wir für unsere Ärztinnen und Ärzte so praxisnah und bürokratiearm wie nur eben möglich gestalten. Allerdings ist der Handlungsspielraum für uns oft zu gering, denn meist werden die Grundlagen und Rahmenbedingungen sehr realitätsfern durch den Gesetzgeber geschaffen. Ganz aktuell werden die Konsequenzen der Krankenhausstrukturreform auch für unsere Niedergelassenen sicherlich spürbar werden.

Um die ärztliche Versorgung in den Regionen abzusichern und gleichzeitig die Bedingungen und die Honorierung der Vertragsärztinnen und -ärzte angemessen zu gestalten, braucht es sowohl einen Dialog als auch den Wissenstransfer zwischen ärztlicher Selbstverwaltung und politischer Ebene. Politik darf niemals mit Gesetzgebungen und Regularien im Eigeninteresse oder durch erschreckende Unkenntnis an den Realitäten der Akteure des Gesundheitswesens vorbei agieren. Besonders wünschen wir uns das, nachdem die versorgungsfeindlichen Auswirkungen der politisch intendierten „MVZ-Schwemme“ mittlerweile erkannt werden und nun endlich gesetzgeberisch auch gegengesteuert wird.

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