03.05.2023

Im Gespräch

„Selbstverwaltung bleibt eine herausfordernde Daueraufgabe“

Das Foto zeigt Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein.
Dr. med. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein. Foto: KVSH

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Durch die demographische Entwicklung erleben wir den größten Strukturwandel im Gesundheitswesen seit Jahrzehnten, da die Zunahme von Multimorbidität mit weniger Fachkräften bei höheren Anforderungen zu bewältigen sein wird. Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies die Konzentration auf ihre medizinischen Kernkompetenzen. Dies wird eine Fülle von Maßnahmen erfordern, von denen die entscheidende Grundvoraussetzung die Entbudgetierung ist. Für die Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte scheint dies die Politik bereits verstanden zu haben. In einem nächsten Schritt sollten zusätzlich die hausärztliche Versorgung vom Quartalsbezug entkoppelt werden und alle fachärztlichen Einzelleistungen auf Zuweisung entbudgetiert sein – unabhängig von Zeitbezügen.



2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

Zur Entlastung der Hausärztinnen und Hausärzte, insbesondere in den ländlichen Bereichen, braucht es zentralisierte Teamstrukturen und eine breite Delegation sowohl von Routineaufgaben als auch von Aufgaben im Bereich der Beobachtung und Führung chronisch Erkrankter. Das setzt Kompetenz, sehr viel Vertrauen und eine gute interne wie externe Kommunikation voraus.

Die KV Schleswig-Holstein

Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein mit Sitz in Bad Segeberg vertritt die rund 6.000 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im hohen Norden. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Monika Schliffke sitzt dem Vorstand der KV seit 2012 vor.

Die nachwachsende Arztgeneration scheint dies zu wollen. Allerdings wird sie sich nur dann für ländliche Regionen entscheiden, wenn zentrale infrastrukturelle Bedingungen seitens der Politik aufrechterhalten werden. Für die Fachärztinnen und Fachärzte wünsche ich mir eine deutlich bessere Durchlässigkeit der Sektorengrenze zur stationären Versorgung. Die jetzt diskutierten Level-1-Kliniken scheinen dazu ein möglicher Ansatz, ein Instrument der wohnortnahen fachärztlichen Versorgung mit gleichzeitiger Überwachungsfunktion zu sein. Man sieht an den Reaktionen der Bevölkerung auf drohende Krankenhausschließungen, wie wichtig und sensibel diese Thematik ist.



3. Wie möchten Sie es anpacken?

Unsere konventionellen Methoden sind gezielte Förderungen, aber das wird nicht reichen. Für die Praxen stehen entbürokratisierende, sprich nutzen- und zeitbringende digitale Entwicklungen im Vordergrund. Zum Zweiten braucht es ein politisches Klima, das allen Gesundheitsberufen wieder die Wertschätzung entgegenbringt, die das System zum Funktionieren benötigt. Das ist nicht nur Geld. Das sind Respekt, Anerkennung und Solidarität – Tugenden, die in der Pandemie deutlich gelitten haben. Stattdessen sehen wir immer mehr Anspruchs- und Forderungsdenken. Ganz speziell denke ich, dass in einer Zeit der zunehmenden Digitalisierung die KVen berechtigt sein sollten, den Praxen wesentliche Teile des Dokumentations- und Abrechnungswesens abzunehmen, wie es Vertragsärztinnen und Vertragsärzte heute bereits für ihre angestellten Ärztinnen und Ärzte tun. Man kann individuelle Softwaresysteme behalten, wenn diese gleichzeitig die Daten in eine Fallakte auf einer KV-Plattform und von da aus Befunde in die elektronische Patientenakte (ePA) und Ziffern ins Abrechnungsregelwerk überführen. Es ist eine Sache der technischen Innovation und noch mehr des Vertrauens, ob dies möglich wird, aber eine KV mit ihrer hohen Datensicherheitsgarantie wäre da sicher weit vorn. Dokumentation, Abrechnung, Qualitätssicherung – alles sind überwiegend Mechaniken, die irgendwann automatisiert, auch KI-unterstützt, ablaufen sollten. Unser Nachbar Dänemark macht es uns vor.

Das Foto zeigt einen Mediziner mit Laptop und Schreibblock, der gerade an einer Kostenabrechnung sitzt.
Die KV könnte den Niedergelassenen wesentliche Teile des Dokumentations- und Abrechnungswesens abnehmen, sagt KVSH-Vorstandsvorsitzende Dr. Schliffke. Foto: Adobe Stock / Pcess609



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Im politischen Sinne ist sie ein Basisinstrument unserer Demokratie, das niemand aufs Spiel setzen sollte. Wir haben sie allerdings, gerade was die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bundesebene angeht, in den letzten 30 Jahren so vervollkommnet, dass sie von außen nur noch als Machtinstrument wahrgenommen wird, dem man inzwischen mangelnde Legitimation unterstellt. Das gilt insbesondere für die Spitzengremien der Selbstverwaltung. Dort stehen sich Blöcke gegenüber, die eigentlich Verbündete einer größeren Sache sein sollten. Zudem hat die Komplexität ihrer Regulierungen einen Grad angenommen, der von vielen nur noch als unlösbarer gordischer Knoten gesehen wird. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Mitglieder einer KV nicht nur Dienstleistung gegen Bezahlung, sondern auch Führung und politische Orientierung erwarten. Selbstverwaltung bleibt somit eine herausfordernde Daueraufgabe. Vor allem bleibt es für die KVen dauerhaft wichtig, immer wieder um das Engagement von Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in unseren Gremien zu werben, denn die Idee der Selbstverwaltung lebt vom Mitmachen möglichst vieler und gewinnt nur so Legitimität.



5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Zuallererst Ehrlichkeit, Zielorientierung und Dialogbereitschaft. Ein Geben und Nehmen zwischen denen, die am Ende die Richtung festlegen und denen, die ihre Erfahrungen einbringen und es auch umsetzen müssen. Daran mangelt es momentan beträchtlich. Wenn man zurück will zu Polikliniken der DDR, sollte man es sagen. Wenn man das System analog zu Großbritannien verstaatlichen will, ebenso. Es hilft aber nicht, Absichten zu verschleiern und durch die Hintertür nur bei den Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern ständig neue Vorgaben festzulegen, weil man den Bürgerinnen und Bürgern nicht die Wahrheit zu allen Konsequenzen sagen will. Es ist richtig, dass wir das drittteuerste Gesundheitssystem der Welt haben, gleichzeitig hat es sich aber als das beste für jede Bürgerin und jeden Bürger erwiesen. Um die Selbstständigkeit als die tragende Säule der ambulanten Versorgung zu erhalten, sollten die KVen den Praxen genau die Aufgaben abnehmen dürfen, die die jungen Kolleginnen und Kollegen heute in die Angestelltenverhältnisse treiben. Auch hierzu, der Bedeutung der Selbstständigkeit in der ambulanten Versorgung, würde ich mir wünschen, dass die Politik sich dazu bekennt und den Kolleginnen und Kollegen in den Praxen den Rücken stärkt.



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