08.03.2022

EHDS: Es braucht einen klaren Nutzen für die Versorgung

Die Abbildung zeigt die Grenzen Europas, in denen alle Metropolen dicht miteinander vernetzt sind.
Von grenzüberschreitenden Gesundheitsdaten sollen laut Europäischer Kommission Ärzte, Patienten und Forschende profitieren. Foto: Adobe Stock / j-mel

In Deutschland wie auch in Europa gilt: Digitalisierung darf nicht Selbstzweck sein, sie muss den Menschen konkrete Vorteile bieten – vor allem, wenn es um medizinische Daten geht. Das betonte auch Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bei einem Fachgespräch zum europäischen Gesundheitsdatenraum.

 

Der European Health Data Space (EHDS) soll Europa in Sachen Gesundheitsdaten ein Stück näher zusammenbringen – so hat es sich die Europäische Kommission auf die Fahnen geschrieben. Ein erster Gesetzgebungsvorschlag hierzu wird im April erwartet, wie auch schon der Klartext berichtete.

Doch bereits jetzt ist klar: Mit dem EHDS sollen Unterschiede und Barrieren bei der Erhebung und Verarbeitung medizinischer Daten abgebaut werden. Dadurch sollen Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten Gesundheitsdaten auch grenzüberschreitend verwenden und austauschen können. Längerfristig soll so auch die Zweitverwertung verbessert werden, beispielsweise für Forschungszwecke.

Vor dem „Wie“ nach dem „Ob“ fragen

Hehre Ziele, meint auch Hofmeister. Dennoch appelliert der KBV-Vize, zuerst einmal zu diskutieren, was medizinisch überhaupt sinnvoll ist. Erst dann könne man sich Fragen der technischen Machbarkeit zuwenden: „Wir müssen die Debatte führen, welche konkreten Versorgungsprozesse mit den Daten verbessert werden sollen. Abstrakte, vielleicht sogar wolkige Beschreibungen, was Digitalisierung konkret bringen soll, helfen nicht weiter. Wir brauchen eine Debatte, warum und wozu genau Daten freigegeben werden sollen“, sagte er.

Dabei gehe es der KBV nicht darum, digitale Vorhaben im Gesundheitswesen generell zu bremsen, betonte Hofmeister. Vielmehr gelte es, die Chancen solcher Anwendungen herauszuarbeiten und gleichzeitig Risiken klar zu benennen. Die Erfahrung in Deutschland habe gezeigt, dass die Digitalisierungsdebatte oftmals „von der scheinbaren Machbarkeit getrieben wurde. Dabei wurde aus dem Blick verloren, mit welchem Ziel wir die Digitalisierung wollen. Das hat zu teilweise erheblichen Akzeptanzproblemen geführt.“ Entsprechend mahnte er an, den gleichen Fehler nicht auch in Europa zu machen.

Darüber hinaus habe insbesondere die Corona-Pandemie einmal mehr die Stärken regionaler Gesundheitsversorgung aufgezeigt – ein Prinzip, das auch ein künftiger EHDS nicht unterlaufen sollte. Hofmeister: „Ein EHDS wird zwangsläufig eine Datenstandardisierung herbeiführen. Wir müssen darauf hinwirken, dass er Lösungen vor Ort möglich macht und nicht zu einer Gleichförmigkeit in der Gesundheitsversorgung führt.“

Das Öl der neuen Zeit

Mit ihrem Entwurf für digitale Grundrechte sei die EU-Kommission kürzlich selbst auch einen Schritt in Richtung Patientensouveränität gegangen, lobte Hofmeister. „Es ist richtig, dass sie mit den digitalen Grundrechten nicht die Technik in den Vordergrund stellt – also nicht das zur Maxime erhebt, was technisch möglich ist. Sondern sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt.“

„Chancen herausarbeiten, Risiken klar benennen“ forderte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister bei einem Brüsseler Fachgespräch zum EHDS. Foto: KBV

Auf die Patientinnen und Patienten angewandt, bedeutet das: Sie sollten selbst entscheiden können, was mit ihren Daten passiert. Das habe wiederum zur Folge, dass sich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt nicht auf die Vollständigkeit der Daten verlassen kann, stellte Hofmeister fest. Denn Patientinnen und Patienten seien bisher sehr vorsichtig mit der Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten – das Interesse an entsprechenden Anwendungen eher gering. „Hieraus müssen wir für die Zukunft lernen“, forderte der KBV-Vize. „Eine ‚lesson learned‘ ist, dass die Menschen keine Angebote wählen, wenn nicht klar ist, welche konkreten Vorteile digitale Werkzeuge für ihre Versorgung haben.“

Offenheit und Transparenz

Hofmeister bot an, über diese wichtigen Fragen in einen offenen und konstruktiven Dialog zu treten. Die KBV habe etwa durch die Entwicklung der Medizinischen Informationsobjekte wichtige Erfahrungen in der Standardisierung interoperabler Gesundheitsdaten sammeln können – und stünde als kompetenter Ansprechpartner bereit. Und auch die Niedergelassenen hätten durch die tägliche Datenerhebung bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten enorme Expertise anzubieten. „Wir Ärzte und Psychotherapeuten Deutschlands haben zu dem Thema eine Menge zu sagen“, resümierte Hofmeister.

Viel zu sagen hatten auch die über 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Online-Fachgesprächs „EU-Gesundheitsdatenraum konkret: Welche Daten, in welcher Form?“ – dazu eingeladen hatten der Arbeitskreis Gesundheit der Landesvertretungen der deutschen Länder bei der EU und die KBV. Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier:

Das Video-Vorschaubild trägt den Titel: „EU-Gesundheitsdatenraum konkret: Welche Daten, in welcher Form?“ Eine Veranstaltung von AK Gesundheit der Vertretungen der deutschen Länder bei der EU und Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Hendrik Schmitz