15.09.2021

Europa in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021

Das Foto zeigt die EU-Kommissarin für Gesundheit Stella Kyriakides, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton bei einer Pressekonferenz in Brüssel zum neuen Projekt HERA
Kommissarin für Gesundheit Stella Kyriakides, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton (v. l.) bei einer Pressekonferenz in Brüssel zu dem neuen Projekt HERA (Health Emergency Response Authority). Foto: Imago / Xinhua

In den Programmen der Parteien zur Bundestagswahl 2021 finden sich zahlreiche Aussagen zur Europäischen Union (EU). Dabei spielt in Zeiten der Pandemie auch die Gesundheitspolitik eine wichtige Rolle. Welche Vorstellungen vertreten die Parteien dazu? Und welche konkreten Schritte sind auf europäischer Ebene bereits getan?

 

Schon vor Covid-19 bemühte sich die EU im Rahmen ihrer Zuständigkeit um eine harmonisierte Gesundheitspolitik. Die Pandemie hat einiges beschleunigt und ein gemeinsames Handeln forciert. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehören die EU-Pharmastrategie, die derzeit abgestimmt wird, und die geplante Europäische Gesundheitsunion.

Die Pharmastrategie behandelt unter anderem die Frage der Lieferengpässe von Arzneimitteln, die Entwicklung und Produktion neuer Medikamente und Impfstoffe sowie die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen. Mit der Gesundheitsunion soll die Gesundheitspolitik der Mitgliedsstaaten besser koordiniert werden, um effizienter auf Gesundheitskrisen reagieren zu können.

All diese Themen finden sich auch im deutschen Wahlkampf wieder. Im Folgenden eine Gegenüberstellung der Aussagen der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien mit den auf EU-Ebene geplanten Maßnahmen (Nicht alle Parteien machen in ihren Programmen Angaben zu den nachfolgenden Punkten – in diesem Fall sind nur die nebeneinander vergleichbar, die eine Aussage zum jeweiligen Thema machen): 

Das Foto zeigt eine pharmazeutische Produktionsstraße, auf der eine große Menge weiß-blauer Pillen zu sehen ist.

Produktion von Arzneimitteln & Co.

Das Bild zeigt das Parteilogo der CDU/CSU.

„Unser Ziel ist es, Deutschlands und Europas Unabhängigkeit zu stärken und die Wertschöpfungsketten souveränitätskritischer medizinischer Produkte in die EU zurückzuholen. Dafür wollen wir mit unseren Pharma-Unternehmen dafür sorgen, dass kritische Schutzkleidung, medizinische Geräte sowie alle wichtigen Medikamente in mindestens einer Variante in Europa produziert werden.“

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Wir werden eine souveräne Europäische Gesundheitsunion mit einer starken und widerstandsfähigen Gesundheitswirtschaft in Europa schaffen, indem wir Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung garantieren, einen starken Katastrophenschutzmechanismus etablieren und die gemeinsame Forschung und Beschaffung wichtiger medizinischer Güter fördern.“

Das Bild zeigt das Parteilogo der FDP.

„Engpässe in der Versorgung müssen vermieden und bekämpft werden. Dazu sind Maßnahmen zu ergreifen, die das Ziel haben, die Herstellung von Arzneimitteln nach Deutschland oder die EU zurück zu verlagern. Im Mittelpunkt stehen dabei der Abbau von Bürokratiepflichten, die Prüfung von Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten, sowie die Prüfung von Zuschüssen zur Gewährung der Versorgungssicherheit.“

Das Bild zeigt das Parteilogo von Bündnis 90/Die Grünen.

„Auch die Produktion von Medikamenten und Medizinprodukten soll – in europäischer Kooperation – vorangetrieben werden, die Versorgung, zum Beispiel mit Atemschutzmasken, durch eigene Produktionsstandorte sichergestellt werden.“

Das Bild zeigt das Logo der Partei Die Linke.

„Angesichts des Marktversagens bei der weltweiten Versorgung mit den dringend benötigten Covid-19-Impfstoffen und der Gefahr zukünftiger Pandemien dürfen wir die Produktion von Impfstoffen nicht mehr Konzernen überlassen. Daher schlagen wir den Aufbau einer öffentlichen Impfstoffproduktion (im Sinne von Regional Vaccine Manufacturing Hubs) vor, weltweit koordiniert von WHO und UN.“

Die EU-Kommission hat Ende 2020 ihre Pharmastrategie beschlossen, in der viele der von den Parteien genannten Themen aufgegriffen werden. So sollen zahlreiche schon bestehende Rechtsvorschriften überarbeitet und geschärft sowie neue Gesetzgebungen vorgeschlagen werden. Zu den etwa 30 konkreten Vorgaben gehören beispielsweise Maßnahmen, die Lieferengpässen von Arzneimitteln entgegenwirken sollen:

  • Verbesserte Bedingungen für Ausschreibungen
  • Optimierung des Systems der ergänzenden Schutzzertifikate
  • Überarbeitung des Anreizsystems zur Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln
  • Unterstützung von öffentlich-privaten und öffentlich-öffentlichen Partnerschaften

Die Pharmastrategie der Kommission ist in diesem Dokument detailliert nachzulesen.

Der in der öffentlichen Diskussion immer wieder auftauchende Wunsch nach dem „Zurückholen“ der pharmazeutischen Produktion in die EU ist auch wesentliche Forderung des Initiativberichts, den das Europäische Parlament im Juli 2020 verabschiedet hat.

Bisher wurden von der Kommission und dem Rat diese Vorschläge mit Verweis auf die Komplexität des Themas kaum aufgegriffen. Stattdessen treffen sich beispielsweise die wichtigsten Akteure aus Forschung und Industrie mit der EU-Spitze und dem Rat. In diesem regelmäßigen Gesprächsformat wird beraten, wie die europäischen Pharmastandorte am sinnvollsten gestärkt werden können.

Was die Forderung betrifft, dass die EU eine eigene Impfstoffproduktion in öffentlicher Hand aufbauen solle, so findet der Gedanke bei Kommission und Rat keine Zustimmung.

Das Symbolbild ist eine Illustration der Erdkugel, um die zahlreiche Ampullen mit der Aufschrift „COVID-19 Vaccine“ kreisen.

Globale Impfstoffverteilung

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Wir sehen es als unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass die Medikamente, die hier (in Deutschland, Anmerkung der Redaktion) entwickelt werden, in ärmeren Ländern nicht überteuert und knapp sind.“

Das Bild zeigt das Logo der Partei Die Linke.

„Wir wollen, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschung im Rahmen des Equitable Licensing (der sozialverträglichen Patentverwertung) zu sozialen Konditionen an ärmere Länder und Generikaproduzenten abgegeben wird.“

Die EU-Kommission hat sich der Covax-Initiative der WHO angeschlossen und ist einer der wesentlichen Geldgeber. Darüber hinaus hat die EU regelmäßig Impfstoffdosen an bedürftige Staaten abgegeben, nicht zuletzt auch an die EU-nahen Länder auf dem Westbalkan, im Kaukasus und in Nordafrika.

Siehe auch: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_3845

Der Forderung nach einer Abgabe von Patenten haben Kommission und Rat eine Absage erteilt. Vielmehr unterstützt die EU Entwicklungs- und Schwellenländer, die eine eigene Impfstoffproduktion aufbauen wollen (zum Beispiel Südafrika).

Siehe auch: https://ec.europa.eu/germany/news/20210519-herstellerlaender-impfstoff_de

Verfügbarkeit von Arzneimitteln

Das Bild zeigt das Parteilogo der CDU/CSU.

„Wir werden prüfen, welche Maßnahmen in Betracht kommen, damit in Krisenfällen versorgungsrelevante Arzneimittel in ausreichender Menge in der EU zur Verfügung stehen, zum Beispiel durch eine entsprechende Änderung des europäischen Vergaberechts.“


„Wir werden prüfen, ob das deutsche Vergaberecht dahingehend geändert werden kann, dass Arzneimittelhersteller verpflichtet werden können, bei der Herstellung insbesondere von versorgungsrelevanten Arzneimitteln in der EU hergestellte Wirkstoffe zu verwenden.

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Wir werden eine souveräne Europäische Gesundheitsunion mit einer starken und widerstandsfähigen Gesundheitswirtschaft in Europa schaffen, indem wir Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung garantieren, einen starken Katastrophenschutzmechanismus etablieren und die gemeinsame Forschung und Beschaffung wichtiger medizinischer Güter fördern.

Es gibt auf europäischer Ebene die Überlegung, das europäische Vergaberecht so anzupassen, dass beispielsweise die Teilnahmebedingungen bei Generika-Ausschreibungen so gestaltet werden können, dass europäische Produktionsstandorte gestärkt werden. Die Kommission hat dies in ihrer Pharmastrategie berücksichtigt.

Die Forderung nach einer gemeinsamen Beschaffung von medizinischen Gütern wurde nicht zuletzt während der Covid-19-Pandemie laut. Die EU-Kommission kümmerte sich dann auch um die Beschaffung von Schutzausrüstungen, Medizingeräten und vor allem der Covid-19-Impfstoffe. Trotz zunächst starker (und nicht immer fairer) Kritik an der Arbeit der Kommission läuft das System mittlerweile stabil.

Das Foto zeigt eine Person in Schutzkleidung, die in einem Labor in einer Handschuhbox eine Spritze aus einer Ampulle befüllt.

Pharmazeutische Innovationen in die Versorgung bringen

Das Bild zeigt das Parteilogo der CDU/CSU.

„Bei den "Benannten Stellen", die für die Überprüfung neuer Medizinprodukte in der Europäischen Union zuständig sind, werden wir darauf hinwirken, dass der Ausbau beschleunigt wird und dadurch innovative Medizinprodukte schnellstmöglich bei den Patienten ankommen.“

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Wir werden eine souveräne Europäische Gesundheitsunion mit einer starken und widerstandsfähigen Gesundheitswirtschaft in Europa schaffen, indem wir Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung garantieren, einen starken Katastrophenschutzmechanismus etablieren und die gemeinsame Forschung und Beschaffung wichtiger medizinischer Güter fördern.“

Das Bild zeigt das Parteilogo von Bündnis 90/Die Grünen.

„Daher setzen wir uns für den zügigen Aufbau von HERA ein, einer EU-Behörde, die künftig staatliche und privatwirtschaftliche Aktivitäten besser koordinieren soll.“

Das Bild zeigt das Logo der Partei Die Linke.

„Wir wollen, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschung im Rahmen des Equitable Licensing (der sozialverträglichen Patentverwertung) zu sozialen Konditionen an ärmere Länder und Generikaproduzenten abgegeben wird. Produktentwicklungspartnerschaften müssen nachhaltig und in voller Breite des Krankheitsspektrums unterstützt werden. Die Kompetenzen der WHO in diesem Bereich wollen wir ausweiten.“

Die Diskussion um die „Benannten Stellen“, die die Medizinprodukte-Richtlinie als zentrale nationale Knotenpunkte für das Zulassungsverfahren vorsieht, dauert an. Die Richtlinie ist im Mai 2021 in Kraft getreten, die Einrichtung von Benannten Stellen läuft aber nur schleppend. Jedoch liegt die Verantwortung hier bei den Mitgliedstaaten selbst – die EU hat dabei keine Kompetenzen.

Einen ähnlich langsamen Aufbau von Benannten Stellen wird inzwischen auch für die In-Vitro-Diagnostika-Richtlinie befürchtet, die im Mai 2022 in Kraft treten wird.

Was die Forschungsförderung für Wirkstoffe angeht, greift die geplante Europäische Gesundheitsunion diese Themen ausführlich auf. So wird die Europäische Arzneimittelagentur befähigt, effizientere Zulassungsverfahren einzusetzen und bereits früh in die Entwicklung neuer Arzneimittel einbezogen werden zu können.

In der Pharma-Produktion: Die Europäische Arzneimittelagentur soll befähigt werden, effizientere Zulassungsverfahren einzusetzen. Foto: IMAGO / Addictive Stock

Wesentlicher Baustein der Gesundheitsunion ist die Gründung der neuen Agentur Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA). Sie soll bei Gesundheitskrisen die Entwicklung von Medikamenten frühzeitig initiieren.

Der Verordnungsvorschlag soll noch im dritten Quartal 2021 ins parlamentarische Verfahren gebracht werden.

Bereits heute arbeitet der HERA-Inkubator, der speziell für die frühzeitige Reaktion auf Varianten von SARS-CoV-2 zuständig ist.

Außerdem arbeiteten 16 Mitgliedstaaten und fünf assoziierte Länder im VACCELERATE-Netz an der Erprobung von Impfstoffen zusammen.

Darüber hinaus beteiligt sich die EU an den Impfstoffprojekten der WHO und treibt die Reformierung der WHO voran. Erstmals spricht die EU hier mit einer Stimme, was als ein großer Fortschritt gewertet wird.

Abgesehen von der Impfstoffentwicklung enthält die Pharmastrategie der EU-Kommission zahlreiche Maßnahmen zur Forschungsförderung, ebenso auch der Europäische Plan gegen Krebs.

Das Foto zeigt den ehemaligen Hauptsitz der Europäischen Arzneimittelagentur EMA in London am Churchill Place.

Koordinierung von Krisenmechanismen

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Wir werden eine souveräne Europäische Gesundheitsunion mit einer starken und widerstandsfähigen Gesundheitswirtschaft in Europa schaffen, indem wir Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung garantieren, einen starken Katastrophenschutzmechanismus etablieren und die gemeinsame Forschung und Beschaffung wichtiger medizinischer Güter fördern.“

Das Bild zeigt das Parteilogo von Bündnis 90/Die Grünen.

„Auf europäischer Ebene braucht es mehr gemeinsame Strategie und Koordinierung, etwa durch die gemeinsame Planung und Nutzung medizinischer Notfallkapazitäten oder durch ein europäisches Frühwarnsystem und die gemeinsame Erhebung und Nutzung relevanter Daten.“

Dass die Koordinierung der Gesundheitspolitik in Krisenfall verbessert werden muss, ist in Brüssel bei allen Beteiligten unstrittig. Im Gesetzgebungsvorschlag zur Europäischen Gesundheitsunion werden zahlreiche Vorgaben gemacht, um die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten besser auf Gesundheitskrisen vorzubereiten und die Zusammenarbeit effektiver zu machen.

Im Mittelpunkt steht die Kompetenzerweiterung für die EMA und das ECDC. Auch der bessere und schnellere Datenaustausch spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Das Foto zeigt den Hauptsitz des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten ECDC in Tomteboda/Stockholm.

Vorhandene EU-Behörden stärken

Das Bild zeigt das Parteilogo der SPD.

„Um auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren in Zukunft besser reagieren zu können, brauchen wir krisenfeste europäische Gesundheitsbehörden, die mit weitreichenden Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden.“

Das Bild zeigt das Parteilogo von Bündnis 90/Die Grünen.

„Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten wollen wir stärken und uns für eine engere Kooperation mit nationalen Gesundheitsbehörden einsetzen.“

Eine der Folgen der Pandemie ist die Reform der bestehenden EU-Behörden EMA (Europäische Arzneimittelagentur) und ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten). Sie werden mit den Gesetzgebungsvorschlägen der Europäischen Gesundheitsunion ausdrücklich gestärkt – sowohl personell und finanziell als auch durch Kompetenzerweiterungen.

AfD

Im Wahlprogramm der AfD finden sich keine Aussagen zur europäischen Gesundheitspolitik. Vielmehr tritt die Partei für einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft ein.

Sten Beneke

Fotos: IMAGO / Xinhua, iStock / zorazhuang, AdobeStock / Alexander Limbach, AdobeStock / Gundolf Renze, IMAGO / Panthermedia, AdobeStock / Lubo Ivanko, IMAGO / Jürgen Heinrich

Das könnte Sie auch interessieren