08.07.2021

Bewährte Strukturen als Basis zur Reform der Notfallversorgung

Das Foto zeigt ein Einsatzfahrzeug des fahrenden ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Auf dem Beifahrersitz sitzt eine Frau und spricht in ein Funksprechgerät. Auf der Beifahrertür ist prominent die Telefonnummer des P
Der fahrende ärztliche Bereitschaftsdienst der KV Berlin ist rund um die Uhr im Einsatz. Foto: Christof Rieken/KV Berlin

Im Grunde sind sich alle Gesundheitsexperten einig: Eine Reform der Notfallversorgung ist dringend geboten. Wie eine organisatorische Neuordnung aussehen soll, ist weniger eindeutig.

 

Fraglich ist zudem, ob und wie weit es Sinn macht, etablierte und funktionierende Strukturen auf eine neue organisatorische Grundlage zu stellen. „Wir brauchen keine neuen bürokratischen Organisationsstrukturen, sondern eine intelligente Weiterentwicklung bereits bestehender funktionierender Strukturen ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland“, fordert Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). „Wir arbeiten gerne konstruktiv an Reformvorschlägen mit, solange diese die Notfallversorgung auch tatsächlich verbessern“, ergänzt der KBV-Vize.

Mangelnde Effizienz

Vielleicht wird in der nächsten Legislaturperiode eine Lösung gelingen. Anträge der FDP- und der Grünen-Fraktion bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag machten deutlich, worum es im Kern geht. Das jetzige System gilt als nicht effizient genug.

Im Wartebereich: Auf dem Gelände der Universitätsmedizin Mainz betreibt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz die erste Allgemeinmedizinische Praxis am Campus (APC). Die Praxis ist zur Entlastung der Notfallaufnahme in der Uniklinik eingerichtet. Foto: KV Rheinland-Pfalz

Angestrebt wird eine sektorenübergreifende Versorgung mit deutschlandweit klaren Zuständigkeiten. So fordert die FDP Integrierte Notfallleitstellen (INL) mit einer Art Lotsenfunktion sowie Integrierte Notfallzentren (INZ) als Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung. Bündnis 90/Die Grünen plädiert für eine Reform, die über die existierenden ambulanten und stationären Sektoren hinweg koordiniert werden soll – integrierte Leitstellen sollen demnach eine standardisierte Ersteinschätzung vornehmen.

Keine Übertragung auf Länder

Von KBV-Seite aus sind die Anträge der beiden Fraktionen, die Reform der Notfallversorgung voranzutreiben, begrüßenswert. Die Versorgung von akuten, nicht lebensbedrohlichen Notfällen wird durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) während der Sprechstundenzeiten in den Praxen und außerhalb dieser Zeiten durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Praxen oder durch einen mobilen Dienst sichergestellt. Wesentlicher Bestandteil dieser Sicherstellung ist das flächendeckende Netz von Bereitschaftsdienstpraxen der KVen an über 700 Krankenhausstandorten. Der Ausbau dieses Netzes wird von der KBV nachhaltig unterstützt und vorangetrieben.

Hier geht es zur Anmeldung: Das Modellprojekt in Mainz ist im März 2019 mit einer Laufzeit von vier Jahren gestartet. Foto: KV Rheinland-Pfalz

Hofmeister warnt ausdrücklich davor, den Sicherstellungsauftrag auf die Länder zu übertragen: „Da die KVen Personenkörperschaften sind, ist jede Vertragsärztin und jeder Vertragsarzt durch den Sicherstellungsauftrag zur Notfallversorgung verpflichtet. Diese Pflicht entfällt, wenn dieser Teil des Sicherstellungsauftrags an die Länder geht.“ Dann sei es die Aufgabe der Länder, die Versorgung der gesetzlich Versicherten außerhalb der Sprechzeiten sicherzustellen, entsprechende Verträge mit Krankenkassen abzuschließen und die notwendigen Ärztinnen und Ärzte zu rekrutieren. Hofmeister: „Daher sollte eine Reform der Notfallversorgung an die bewährten Versorgungsstrukturen anknüpfen.“

Enge Kooperation

Schon heute sind Bereitschaftsdienstpraxen an Klinikstandorten über Kooperationsverträge mit den Kliniken zum Bezug von Leistungen (zum Beispiel Labor oder Röntgen) oder zur Personalüberlassung verbunden – aus KBV-Sicht können diese in die in den Anträgen angesprochenen Strukturen integriert beziehungsweise weiterentwickelt werden. „Wir befürworten eine enge Vernetzung und Kooperation von ambulanter Bereitschaftsdienstversorgung und Krankenhausleistungen der Akutversorgung“, betont der KBV-Vize. Dort, wo INZ vorhanden oder erforderlich sind, müssen diese von der zuständigen KV in Kooperation mit dem Krankenhaus betrieben werden. „Dazu sind entsprechende Kooperationsverträge notwendig“, sagt Hofmeister. Ambulante Notfallversorgung in INZ soll eine ärztliche Erstversorgung leisten.

Passende Versorgungsebene

Wichtig ist es, die Notfallversorgung mit einer Art vorgeschalteten Lenkung zu versehen, die Akut- und Notfallpatientinnen und -patienten in die für sie richtige Versorgungsebene – zum Beispiel Bereitschaftsdienstpraxis, niedergelassene Praxis oder Krankenhaus – steuert. Zur besseren Orientierung wurde 2012 die bundesweit rund um die Uhr verfügbare Rufnummer 116117 eingerichtet, die allen Versicherten kostenfrei zur Verfügung steht.

Hofmeister bekräftigt, dass die Rufnummern 116117 und 112 weiterhin getrennt voneinander betrieben werden müssten: „Entscheidend ist, dass dem Patienten die Anlaufstelle aufgezeigt wird, die im Moment des Kontakts für ihn zuständig ist. Die 112 muss weiterhin lebensbedrohlichen Fällen vorbehalten bleiben und darf nicht durch die zahlreichen Anrufe in nicht-lebensbedrohlichen Fällen blockiert werden.“ Wichtig sei jedoch die unmittelbare technische Vernetzung beider Leitstellen zum Austausch relevanter patientenbezogener Daten in Echtzeit. Eine entsprechende Datenschnittstelle wurde durch die KBV entwickelt.

Thomas Schmitt