15.01.2024

Tschechien – Bürgerversicherung kontra Ärztemangel

Das Foto zeigt die tschechische Nationalflagge vor dem Panorama Prags.
Prag ist nicht nur beliebtes Ausflugsziel, sondern auch mit reichlich Ärztinnen und Ärzten versorgt – auf dem Land ist die Lage dagegen eine andere. Foto: iStock / Hal Gamble

In Tschechien sind alle Bürgerinnen und Bürger pflichtversichert und erfreuen sich einer Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau. Doch ein Mangel an jungen Medizinerinnen und Medizinern bereitet dem Land zunehmend Schwierigkeiten. Kann das auf Dauer gut gehen?

Die Tschechische Republik liegt im Herzen Europas und grenzt an Polen, die Slowakei, Österreich und Deutschland. Die 10,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner können auf eine reiche Geschichte und Kultur blicken, die stark vom Heiligen Römischen Reich und der Habsburger-Monarchie geprägt wurden. Tschechien gehört zu den wohlhabendsten Ländern des ehemaligen Ostblocks. Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag im Jahr 2021 bei 45.719 US-Dollar, damit liegt der mitteleuropäische Staat vor Ländern wie Japan (42.251 Dollar) oder Spanien (40.602 Dollar).

Das tschechische Gesundheitssystem basiert auf einer Bürgerversicherung, die die Mitgliedschaft in einer der sieben Krankenkassen verpflichtend macht. An den Krankenkassenbeiträgen beteiligen sich Arbeitnehmer mit 4,5 Prozent, Arbeitgeber mit neun Prozent. Menschen, die keiner bezahlten Arbeit nachgehen, bekommen ihre Krankenversicherung vom Staat finanziert. Größte Krankenkasse ist die Allgemeine Krankenkasse der Tschechischen Republik (VZP ČR), bei der rund zwei Drittel der Bevölkerung versichert sind.

Die Krankenkassen agieren als Einkäufer von Leistungen und verhandeln jährlich mit Gesundheitsdienstleistern, um Preise und Mengen festzulegen. Das Gesundheitssystem wird zu 82 Prozent mit öffentlichen Geldern finanziert. Die privaten Gesundheitsausgaben liegen bei etwa 18 Prozent, meist handelt es sich dabei um Kostenbeteiligungen, die beispielsweise für bestimmte Medikamente anfallen.

Das Gesundheitsministerium in Prag ist das zentrale Organ im tschechischen Gesundheitswesen. Foto: IMAGO / CTK Photo

Ohne das Ministerium geht nichts

Das Gesundheitsministerium ist das zentrale gesundheitspolitische Organ Tschechiens. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem die Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit, die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten (einschließlich Zahnärztinnen und -ärzten) und medizinischer Fachangestellter sowie die Kontrolle der Krankenkassen. Außerdem werden die großen überregionalen Krankenhäuser und viele psychiatrische Kliniken direkt vom Gesundheitsministerium verwaltet.

Dem Gesundheitsministerium unterstehen 14 regionale Gesundheitsbehörden, die für die Registrierung privater Gesundheitseinrichtungen sowie der haus- und fachärztlichen Praxen verantwortlich sind. Die regionalen Behörden leiten außerdem viele kleinere Krankenhäuser und sind wesentlich an der Organisation der Notfallversorgung beteiligt.

Im Jahr 2019 gab die Tschechische Republik umgerechnet 18,5 Milliarden Euro für ihr Gesundheitswesen aus. Das waren 7,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit lag Tschechien unter dem EU-Durchschnitt, glich sich während der Corona-Pandemie aber etwas an. Deutschland wendete im gleichen Jahr 11,9 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Gesundheitsausgaben auf.

Freier Zugang zu Praxen

Ein Großteil der Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung betreibt selbstständige Praxen, in denen sie von mindestens einer oder einem Medizinischen Fachangestellten unterstützt werden. Einige Medizinerinnen und Mediziner schließen sich zu Gruppenpraxen zusammen oder arbeiten für Gesundheitszentren und Polikliniken. Diese haben den Vorteil, dass sie in der Regel über eine gute technische Ausstattung verfügen und die Ärztinnen und Ärzte beispielsweise mit teuren Röntgen- oder MRT-Geräten arbeiten können, deren Anschaffung sich für eine kleine Praxis nicht lohnen würde.

Patientinnen und Patienten können sich in einer Praxis ihrer Wahl einschreiben und haben das Recht, sich alle drei Monate einen neuen Arzt oder eine neue Ärztin zu suchen. Die Medizinerinnen und Mediziner sind wiederum berechtigt, Patientinnen und Patienten abzuweisen, wenn eine nicht genau definierte „vertretbare Arbeitslast“ überschritten ist.

Auch die Fachärzteschaft ist vor allem in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen organisiert. Patientinnen und Patienten können diese ohne ärztliche Überweisung nach eigenem Ermessen besuchen. Auch bei der Verteilung der fachärztlichen Praxen gibt es ein deutliches Stadt-Land Gefälle. Es gibt gesetzliche Vorgaben, die sicherstellen sollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb von 45, 60, 90 oder 120 Minuten bestimmte Spezialistinnen und Spezialisten erreichen können. Wenn das an einem bestimmten Ort nicht möglich ist, sind die Krankenkassen dazu verpflichtet, einen entsprechenden Medizinerinnen und Mediziner für die Region anzustellen.

Eines der über 90 Kundencenter: Bei der VZP ČR ist der Großteil der Tschechinnen und Tschechen versichert. Foto: IMAGO / CTK Photo

Viele Erkrankte, wenig Behandelnde

Die Ärzteschaft in dem mitteleuropäischen Land gilt als stark überaltert. 2019 waren 19 Prozent der tschechischen Ärztinnen und Ärzte zwischen 55 und 64 Jahre alt, 14 Prozent sogar älter als 65 Jahre. Zwar nahm die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren leicht zu, doch da auch die tschechische Bevölkerung immer älter wird, wuchs der Behandlungsbedarf in der Bevölkerung stärker als die Zahl der Medizinerinnen und Mediziner.

Die tschechischen Universitäten bilden zwar im großen Stil ärztlichen Nachwuchs aus, doch schätzungsweise über 15 Prozent der neu ausgebildeten Medizinerinnen und Mediziner verlassen das Land nach Abschluss ihres Studiums. Viele Studierende stammen aus dem europäischen Ausland und hatten nie die Absicht, sich in Tschechien niederzulassen. Auch für viele tschechische Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner ist die Emigration eine beliebte Option, da Länder wie Deutschland oder Großbritannien mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen locken.

Der Ärztemangel ist für die meisten Bürgerinnen und Bürger lästiger Alltag. Die Wartezeiten für einen Termin sind meist lang und die Suche nach einem geeigneten Facharzt oder einer geeigneten Fachärztin ist langwierig und schwierig. Einige Gemeinden und Regionen versuchen gegenzusteuern und Medizinstudierende für eine Niederlassung in der jeweiligen Region zu gewinnen. Die Region Karlsbad zahlt beispielsweise 6.000 Euro im Jahr an Studierende, die sich im Gegenzug zu einer Niederlassung in der Region verpflichten. Andere Regionen versuchen beispielsweise mit Geldzahlungen oder Gratiswohnungen Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen.

Ausländische Ärztinnen und Ärzte könnten die Situation entschärfen, gerade Medizinerinnen und Mediziner aus der Ukraine und Belarus interessieren sich für eine Tätigkeit in Tschechien. Dr. Milan Kubek, Präsident der tschechischen Ärztekammer, bemängelt allerdings, dass die Bemühungen der Regierung diesbezüglich nicht ausreichten. Für ausländische Fachkräfte sei es viel zu schwer, Tschechisch zu lernen, Prüfungen abzulegen und eine Arbeit aufzunehmen.

Das Foto zeigt den tschechischen Ärztekammerpräsidenten Dr. Milan Kubek
Bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte sei noch Luft nach oben, kritisiert Ärztekammerpräsident Dr. Milan Kubek. Foto: IMAGO / CTK Photo

Corona als Brennglas

Aufgrund der Corona-Pandemie rief die Ärztekammer im Oktober 2020 im Ausland praktizierende tschechische Medizinerinnen und Mediziner dazu auf, in ihr Herkunftsland zurückzukehren und ihre Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Trotzdem wurde das Land heftig vom neuen Virus getroffen, zeitweise konnten viele Patientinnen und Patienten nicht mehr angemessen versorgt werden. Zu Beginn des Jahres 2021 waren die Krankenhäuser so überlastet, dass die Regierung in Prag die Nachbarländer offiziell um Hilfe bitten musste. Nach Angaben der WHO haben sich bis zum November 2023 4,7 Millionen Tschechinnen und Tschechen mit dem Corona-Virus infiziert, 43.000 von ihnen überlebten die Infektion nicht.

Grafik: KloseDetering

Die Pandemie wirkte wie ein Brennglas, das die Probleme des tschechischen Gesundheitssystems offen zutage förderte. Das hohe Durchschnittsalter der Ärzteschaft bei gleichzeitiger Überalterung der Gesellschaft wird zunehmend zum Problem. Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass viele Ärztinnen und Ärzte in Länder mit einem höheren Lohnniveau auswandern. Noch gilt das Bürgerversicherungssystem zwar als solide, die Bürgerinnen und Bürger erfreuen sich einer guten Gesundheitsversorgung und können auf durchschnittlich 79,3 Lebensjahre hoffen. Doch klar ist, dass der demografische Wandel es vor große Herausforderungen stellen wird.

Lukas Brockfeld

Das könnte Sie auch interessieren