07.04.2022

„Ich würde den Weg immer wieder gehen“

Das Foto zeigt Doktor Michal Olszewski, der als niedergelassener Hausarzt in Göttingen praktiziert.
Am Anfang seines Studiums hätte der niedergelassene Arzt sich nicht vorstellen können, jemals eine eigene Praxis zu haben. Foto: Mirko Plha

Dr. Michal Olszewski ist Hausarzt in Göttingen. Sein Weg führte ihn über einige Umwege dorthin. Heute ist er froh, den Schritt in die Niederlassung gewagt zu haben. Patientenversorgung und Praxismanagement sind in seinem Job bei weitem nicht alles.

 

Halb acht Uhr morgens in Göttingen. Michal Olszewski öffnet die Tür seiner Arztpraxis und begrüßt seine Kolleginnen. Bevor die Sprechstunde losgeht, schaut sich der Niedergelassene Laborbefunde an und liest seine E-Mails. Um acht Uhr trudeln die ersten Patientinnen und Patienten ein. Noch vor ein paar Jahren hätte sich der Arzt diese geregelten Arbeitsabläufe nicht vorstellen können. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Angestellter in der Pneumologie und der Allgemeinen Inneren Medizin in einem Krankenhaus in Rheinland-Pfalz. Überstunden, Nachtdienste und hierarchische Strukturen erschöpften ihn. „Ich brauchte eine Pause davon. Daher kündigte ich meinen Job und ging erst einmal ein halbes Jahr ins Ausland, nach Kolkata, Indien, um dort bei den German Doctors Menschen zu helfen. Das ist eine ärztliche Hilfsorganisation, die weltweit tätig ist“, berichtet Olszewski.

 

Dr. Olszewski verbrachte als Arzt auch einige Zeit im Ausland. Er war dort für die German Doctors im Einsatz. Foto: privat

Der Weg in die Allgemeinmedizin

Als er nach Deutschland zurückkehrte, wechselte er im Krankenhaus zur Anästhesie, um sicherer zu werden und Notfallsituationen besser zu beherrschen. „Dort war ein ganz anderes Klima als in der Inneren Medizin. Ich hatte einen tollen Chef, der mir den Rücken gestärkt hat, mich gefördert hat und ich hatte dort geregeltere Arbeitszeiten“, sagt der Mediziner. Doch auf Dauer wollte er keine Wochenendschichten arbeiten und auch keinen Chef vor sich haben, mit dem er nicht immer einer Meinung war. Daher wechselte er nach anderthalb Jahren in die ambulante Allgemeinmedizin und machte eine Weiterbildung in einer Hausarztpraxis. „Die Praxis, in der ich angestellt war, war sehr gut strukturiert. Ich konnte dort viel lernen, wie zum Beispiel Personalführung und Qualitätsmanagement. Das war für meine eigene Praxis später sehr von Vorteil.“

Der Schritt in die Niederlassung

Olszewski übernahm im Oktober 2020 die Praxis des Ehepaars Kolb. Die beiden Niedergelassenen fand er mithilfe einer Praxisbörse der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen. „Das war wie ein Datingportal. Man konnte anonym eine Anzeige einstellen und wurde dann wie bei einem Blinddate jemandem vermittelt. Nur, dass es da halt um Arztpraxen ging“, lacht der Mediziner.

Er verstand sich mit dem Ehepaar Kolb auf Anhieb gut. Dennoch brauchte es noch etwas Zeit, um den Schritt in die eigene Praxis zu wagen. Es war ein finanzielles Risiko. Er musste einen Kredit aufnehmen und Geld investieren, um die Praxis auf den neuesten Stand zu bringen. Er wollte neue Praxisräume beziehen und neue Geräte anschaffen. Schließlich ging der Arzt das Risiko ein und ist heute glücklich, dass er es getan hat.

Zunächst löste er Sabine Kolb ab, die in Rente ging. Mit Birger Kolb führte er gemeinsam neun Monate lang die Praxis weiter. „Das war gut, damit die Patientinnen und Patienten sich langsam an die Veränderung gewöhnen konnten, bevor ich die Praxis komplett übernahm“, so Olszewski. Gemeinsam zogen sie in neue größere Praxisräume und erweiterten den EDV-Bereich. Dass Kolb mit ihm in die neuen Räume zog, war für Olszewski nicht selbstverständlich. Kolb wurde für ihn ein guter Mentor in dieser Zeit. Nach der Praxisübernahme stellte Olszewski zwei weitere Ärztinnen ein.

Wertschätzung wird in der Praxis großgeschrieben

Die Corona-Pandemie für den Hausarzt und sein Team eine ziemliche Herausforderung. Aktuell kam noch hinzu, dass seine Praxis zeitweise die Patientinnen und Patienten einer Nachbarpraxis übernommen hat, die aufgrund eines Rohrdurchbruchs über zwei Monate lang schließen musste. Trotz dieser Belastungen nimmt sich der Praxisinhaber Zeit für sein Team. Eine gemeinsame Kaffeepause mit den beiden Ärztinnen und den vier medizinischen Fachangestellten gegen elf Uhr gehört fest zum täglichen Ablauf. „Diese Zeit ist für mich und mein Team wichtig, auch wenn dann die Sprechstunde bis halb eins geht statt bis zwölf Uhr. Aber der Raum ist gut, um sich noch einmal über Dinge auszutauschen oder einfach mal Zeit zum Lachen zu haben“, erzählt Olszewski.

Er möchte, dass seine Angestellten gerne zur Arbeit kommen und sich wohl fühlen. „Wenn ich sehe, dass Kolleginnen länger krank sind, versuche ich zu schauen, woran das liegt und was ich dagegen tun kann.“ Dem Arzt ist nicht nur die Gesundheit der Patientinnen und Patienten wichtig, sondern auch die seines Teams. „Ich möchte meine Kolleginnen mit dem Ziel motivieren, dass wir die Praxis am Laufen halten können. Nur wenn es uns gut geht, dann können wir auch eine gute Patientenversorgung gewährleisten“, so Olszewski.

Das Foto zeigt Doktor Michal Olszewski mit seinem Praxisteam.
Dr. Olszewski und sein Team unternehmen auch abseits der Arbeit Ausflüge zum Wandern oder in die Oper. Foto: Mirko Plha

Persönliche Wertschätzung ist dem Praxisinhaber wichtig. „Im Klinikalltag kam das damals viel zu kurz. Da musste es immer schnell, schnell gehen. Es war schwer, nicht nur eine persönliche Beziehung zu den Kolleginnen und Kollegen aufzubauen, sondern auch mit den Patientinnen und Patienten“, berichtet der Arzt. Heute versucht Olszewski das Miteinander durch eine gemeinsame Kaffeepause sowie mit gemeinsamen Ausflügen zum Wandern, in die Oper oder einer Weihnachtsfeier zu fördern. Über finanzielle Spritzen, wie einen Corona-Bonus, freue sich das Team auch, berichtet der Arzt. Geburtstage sind zudem ein wichtiges Ereignis in der Praxis. Es wird "Happy Birthday" gesungen und ein Blumenstrauß überreicht. Aber nicht nur die Geburtstage der Mitarbeitenden werden zelebriert, sondern auch Geburtstage der Selbstständigkeit beziehungsweise der neuen Praxisräume. Sein Team überraschte ihn mit einem bunt geschmückten Sprechzimmer mit Kuchen und Sekt, um mit ihm auf das Einjährige der neuen Praxisräume anzustoßen.

„Viele Studierende wissen gar nicht, was für ein spannendes Fach das ist.“

Die individuelle Gestaltung seiner Arbeit ist für den Arzt der größte Vorteil der Freiberuflichkeit. „Ich wollte frei mein eigenes Team und die Sprechstunden gestalten. Selbst entscheiden, in welchen Räumen ich arbeite und welche Medizin ich anbiete“, erzählt er. Heute ist er froh, den Schritt gewagt zu haben, und würde diesen Weg immer wieder gehen. Er selbst wäre direkt nach dem Studium nicht auf die Idee gekommen, in die Niederlassung zu gehen. „Für uns Studierende war die Allgemeinmedizin damals gar nicht interessant. Uns wurde das nicht schmackhaft gemacht. Heutzutage bekomme ich das immer noch in Gesprächen mit Praktikanten mit. Die wissen gar nicht, wie vielfältig und was für ein spannendes Feld das ist. Das Studium vermittelt das nicht. Obwohl sich inzwischen schon einiges ändert. Wie zum Beispiel, dass es einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin gibt.“ Der Mediziner wünscht sich hier aber trotzdem noch mehr Sichtbarkeit des Faches.

Hätte es während seiner Studienzeit schon Maßnahmen wie die Hausarztquote gegeben, hätten ihn diese wahrscheinlich nicht überzeugt. „Viele wissen am Anfang ihres Studiums mit 18, 19 Jahren gar nicht, in welche Richtung sie gehen wollen“, sagt Olszewski. Bei ihm zum Beispiel habe es Zeit gebraucht, um den Gedanken zu festigen. „Andere fassen vielleicht viel schneller den Mut“, meint er. Beratungen des Hausärzteverbandes und der Kassenärztlichen Vereinigungen empfindet er als hilfreich, um sich zu informieren und sicherer in der Entscheidung zu werden.

„Wir als niedergelassene Hausärzte und Hausärztinnen können auch viel Lust und Freude an dem Fach vermitteln und so junge Menschen in Praktika oder Famulaturen davon überzeugen.“ Der Austausch mit jungen Kolleginnen und Kollegen ist ihm zudem wichtig. In Göttingen gründet er daher im Moment einen Stammtisch für junge Hausärztinnen und Hausärzte, die gerade den Schritt in die Niederlassung gewagt haben oder kurz davorstehen.

Lea Hanke

Das könnte Sie auch interessieren