Interview
02.02.2023
PraxisBarometer Digitalisierung 2022
Praxen werden digitaler – erwarten aber nützlichere Anwendungen
Die Arztpraxen in Deutschland arbeiten zunehmend digital. Dennoch schauen die Niedergelassenen mit Sorge auf die Fehleranfälligkeit der Telematikinfrastruktur (TI) – und erwarten in Zukunft Anwendungen, die der Versorgung wirklich nutzen. Das zeigen Zahlen des PraxisBarometers Digitalisierung 2022 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Von der Patientendokumentation über Videosprechstunden und Online-Termine bis hin zur Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen: Die vertragsärztliche Praxis wird immer digitaler. Ein Großteil der Niedergelassenen sieht großes Potenzial in digitalen Anwendungen, sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für sich und ihre Teams. Dafür müssen diese den Praxisalltag und die Patientenversorgung aber auch tatsächlich verbessern – und dürfen nicht zu einem Mehraufwand führen.
Daran haperte es auch im Jahr 2022: So berichteten mehr als zwei Drittel der fast 2.500 befragten Praxen von wöchentlichen und zum Teil täglichen Problemen im Zusammenhang mit der TI. „Ich muss dauernd herumtelefonieren und IT-Probleme lösen. Die Zeit würde ich lieber für die Versorgung nutzen“, kommentierte eine befragte Allgemeinärztin. „Außerdem macht meine Praxis um 6 Uhr morgens auf. Ich kenne keinen IT-Dienstleister, der zu dieser Uhrzeit schon erreichbar ist, falls etwas nicht funktioniert.“
Fast alle Praxen arbeiten digital
Dabei nimmt die Zahl der digital arbeitenden Praxen weiter zu: Die Patientendokumentation ist zu mehr als 80 Prozent nahezu komplett oder mehrheitlich digitalisiert. Im Vorjahr lag der Anteil noch bei knapp 73 Prozent. Zwei Drittel der Praxen machen ihren Patientinnen und Patienten zudem digitale Angebote. Dazu gehören Online-Rezeptbestellungen und -Terminvereinbarungen, die Verordnung von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie Erinnerungen an Termine, Vorsorge und Impfungen.
Auch das Angebot der Videosprechstunde hat sich durch die Corona-Pandemie etabliert. Vor allem psychotherapeutische Praxen machen davon Gebrauch. „Inzwischen hat sich ein gesundes Verhältnis der Möglichkeiten der Videosprechstunde eingependelt“, bewertet KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel die Ergebnisse in einem Video-Interview.
„Das heißt konkret: Ärzte nutzen das, sagen aber, für neue Patienten oder auch für kompliziertere Fälle, die während einer Videokonferenz nicht erkennbar sind für den Arzt, da geht es natürlich nicht.“ Für Nachbesprechungen, insbesondere bei langfristig betreuten, chronisch kranken Patientinnen und Patienten, fänden die Praxen die Videosprechstunde dagegen gut geeignet, so Kriedel.
Das erhoffen sich die Niedergelassenen
Die Niedergelassenen sind prinzipiell offen für Neues, wie die Befragung zeigt. Rund die Hälfte der Praxen sieht sich als aufgeschlossen beziehungsweise eher aufgeschlossen gegenüber digitalen Innovationen und Anwendungen, ein weiteres Drittel zumindest teilweise. Insbesondere der Wunsch, mithilfe verschiedener Kommunikationswege mit anderen Praxen und Einrichtungen in Kontakt zu treten, ist groß. Nicht zuletzt durch den eArztbrief erhoffen sie sich einen konkreten Mehrwert. Rund sieben von zehn Befragten setzten diesen auf Platz eins der aus ihrer Sicht nützlichsten Anwendungen.
Ganze 90 Prozent erwarten vom Digitalisierungsfortschritt (starke) Verbesserungen für die Kommunikation sowohl mit Krankenhäusern als auch mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. „Die Praxen waren in der Masse schon immer überzeugt, dass Digitalisierung Sinn macht“, befindet auch Kriedel.
Voraussetzung für eine gelungene Integration in den Praxisalltag sei aber, dass dort bereits sichere und erprobte Anwendungen ankommen. Kriedel: „Es muss ausreichend und lange getestet werden. Die Anwendungsfälle in der Praxis sind so vielfältig, dass man am grünen Tisch nicht erkennen kann, was da passiert.“
Bei bisher ausgerollten Anwendungen klagen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten laut PraxisBarometer noch immer über ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis, technische Fehleranfälligkeit und hohen Umstellungsaufwand.
Auch einmal eingerichtet, fressen viele Anwendungen weiterhin kostbare Zeit. Mehr als 40 Prozent der Befragten berichten hier von Verschlechterungen. Nur in jeder fünften Praxis konnte durch digitale Helfer Arbeitszeit eingespart werden – Arbeitszeit, die dann der Versorgung von Patientinnen und Patienten zugutekommen kann. „Wir wollen, dass das, was dann ausgerollt wird, vernünftig läuft. Im Interesse der Praxen natürlich, aber auch der Patienten“, resümiert Kriedel. Er appelliert außerdem an die gematik und an die Industrie, ein organisiertes Fehlermanagement zu etablieren, um Probleme schneller lösen zu können.
Hendrik Schmitz
Die Ergebnisse des PraxisBarometers im Überblick
Seit 2018 führt das IGES-Institut im Auftrag der KBV das PraxisBarometer Digitalisierung durch. An der nun fünften repräsentativen Befragung beteiligten sich 2.459 Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus ganz Deutschland. Die detaillierten Ergebnisse des Praxisbarometers finden Sie hier