02.02.2023

PraxisBarometer Digitalisierung 2022

Praxen werden digitaler – erwarten aber nützlichere Anwendungen

Das Titelbild zeigt die Hand eines Arztes, die gerade etwas auf einem Tablet-PC eintippt.
Bereits zum fünften Mal gibt das Praxisbarometer Digitalisierung Aufschluss über die Erfahrungen der Niedergelassenen mit der Digitalisierung – und welche Chancen und Hemmnisse sie sehen. Foto: Shutterstock / Josep Suria

Die Arztpraxen in Deutschland arbeiten zunehmend digital. Dennoch schauen die Niedergelassenen mit Sorge auf die Fehleranfälligkeit der Telematikinfrastruktur (TI) – und erwarten in Zukunft Anwendungen, die der Versorgung wirklich nutzen. Das zeigen Zahlen des PraxisBarometers Digitalisierung 2022 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

 

Von der Patientendokumentation über Videosprechstunden und Online-Termine bis hin zur Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen: Die vertragsärztliche Praxis wird immer digitaler. Ein Großteil der Niedergelassenen sieht großes Potenzial in digitalen Anwendungen, sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für sich und ihre Teams. Dafür müssen diese den Praxisalltag und die Patientenversorgung aber auch tatsächlich verbessern – und dürfen nicht zu einem Mehraufwand führen.

Daran haperte es auch im Jahr 2022: So berichteten mehr als zwei Drittel der fast 2.500 befragten Praxen von wöchentlichen und zum Teil täglichen Problemen im Zusammenhang mit der TI. „Ich muss dauernd herumtelefonieren und IT-Probleme lösen. Die Zeit würde ich lieber für die Versorgung nutzen“, kommentierte eine befragte Allgemeinärztin. „Außerdem macht meine Praxis um 6 Uhr morgens auf. Ich kenne keinen IT-Dienstleister, der zu dieser Uhrzeit schon erreichbar ist, falls etwas nicht funktioniert.“

 

Fast alle Praxen arbeiten digital

Dabei nimmt die Zahl der digital arbeitenden Praxen weiter zu: Die Patientendokumentation ist zu mehr als 80 Prozent nahezu komplett oder mehrheitlich digitalisiert. Im Vorjahr lag der Anteil noch bei knapp 73 Prozent. Zwei Drittel der Praxen machen ihren Patientinnen und Patienten zudem digitale Angebote. Dazu gehören Online-Rezeptbestellungen und -Terminvereinbarungen, die Verordnung von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie Erinnerungen an Termine, Vorsorge und Impfungen.

In der Corona-Pandemie hat sich die Videosprechstunde bewährt – für Diagnostik, Untersuchungen und Therapie bleibt der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt allerdings unersetzlich. Foto: iStock.com / aquaArts studio

Auch das Angebot der Videosprechstunde hat sich durch die Corona-Pandemie etabliert. Vor allem psychotherapeutische Praxen machen davon Gebrauch. „Inzwischen hat sich ein gesundes Verhältnis der Möglichkeiten der Videosprechstunde eingependelt“, bewertet KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel die Ergebnisse in einem Video-Interview.

„Das heißt konkret: Ärzte nutzen das, sagen aber, für neue Patienten oder auch für kompliziertere Fälle, die während einer Videokonferenz nicht erkennbar sind für den Arzt, da geht es natürlich nicht.“ Für Nachbesprechungen, insbesondere bei langfristig betreuten, chronisch kranken Patientinnen und Patienten, fänden die Praxen die Videosprechstunde dagegen gut geeignet, so Kriedel.

 

Das erhoffen sich die Niedergelassenen

Die Niedergelassenen sind prinzipiell offen für Neues, wie die Befragung zeigt. Rund die Hälfte der Praxen sieht sich als aufgeschlossen beziehungsweise eher aufgeschlossen gegenüber digitalen Innovationen und Anwendungen, ein weiteres Drittel zumindest teilweise. Insbesondere der Wunsch, mithilfe verschiedener Kommunikationswege mit anderen Praxen und Einrichtungen in Kontakt zu treten, ist groß. Nicht zuletzt durch den eArztbrief erhoffen sie sich einen konkreten Mehrwert. Rund sieben von zehn Befragten setzten diesen auf Platz eins der aus ihrer Sicht nützlichsten Anwendungen.

Ganze 90 Prozent erwarten vom Digitalisierungsfortschritt (starke) Verbesserungen für die Kommunikation sowohl mit Krankenhäusern als auch mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. „Die Praxen waren in der Masse schon immer überzeugt, dass Digitalisierung Sinn macht“, befindet auch Kriedel.

Voraussetzung für eine gelungene Integration in den Praxisalltag sei aber, dass dort bereits sichere und erprobte Anwendungen ankommen. Kriedel: „Es muss ausreichend und lange getestet werden. Die Anwendungsfälle in der Praxis sind so vielfältig, dass man am grünen Tisch nicht erkennen kann, was da passiert.“

Bei bisher ausgerollten Anwendungen klagen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten laut PraxisBarometer noch immer über ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis, technische Fehleranfälligkeit und hohen Umstellungsaufwand.

Auch einmal eingerichtet, fressen viele Anwendungen weiterhin kostbare Zeit. Mehr als 40 Prozent der Befragten berichten hier von Verschlechterungen. Nur in jeder fünften Praxis konnte durch digitale Helfer Arbeitszeit eingespart werden – Arbeitszeit, die dann der Versorgung von Patientinnen und Patienten zugutekommen kann. „Wir wollen, dass das, was dann ausgerollt wird, vernünftig läuft. Im Interesse der Praxen natürlich, aber auch der Patienten“, resümiert Kriedel. Er appelliert außerdem an die gematik und an die Industrie, ein organisiertes Fehlermanagement zu etablieren, um Probleme schneller lösen zu können.

 

Hendrik Schmitz

 

Die Ergebnisse des PraxisBarometers im Überblick

Grafik 1: Kommunikation mit Patienten außerhalb der Praxis. Die Grafik zeigt, das Vertragsärzte und Psychotherapeuten 2022 schon deutlich digitalisierter waren als im Jahr zuvor.
Grafik 2 zeigt, dass ein großer Anwendungsnutzen der Digitalisierung darin besteht, Arztbriefe und Befunddaten mit anderen Praxen oder Einrichtungen auszutauschen.
Grafik 3 beantwortet die Frage: Wo vermuten Sie den größten Anwendungsnutzen der externen digitalen Datenübertragung in der Kommunikation mit Krankenhäusern? Darauf antworteten 67,9% Entlassbriefe und 43,3% Behandlungsverläufe und Therapieempfehlungen.
Grafik 4 zeigt, wie sich Videosprechstunde in den Augen der Befragten für langfristig betreute chronisch kranke Patienten und Neupatienten eignet und ob sie dabei Vorteile gegenüber einem Telefonat sehen..
Grafik 5 zeigt, welche Faktoren, die weitere Digitalisierung der Praxen hemmen. Für 64% der Befragten liegt das an dem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis, für 63% die Fehleranfälligkeit der EDV-Systeme und für 62% der Umstellungsaufwand.
Grafik 6 zeigt, das die Fehlerhäufigkeit der digitalen Systeme gestiegen ist. 2020 kam es bei 27% der Befragten täglich oder wöchentlich zu Fehlern. 2022 hat sich die Fehlerhäufigkeit auf 69% mehr als verdoppelt.
Grafik 7 zeigt, wer für die IT-Administration in der Praxis verantwortlich ist. Auf diese Frage antworteten 83% "Ich selbst oder mein Praxispersonal" und 42% werden von einem Dienstleister vor Ort unterstützt.
Das Foto zeigt das Titelbild des KBV Praxisbarometers Digitalisierung 2022.

Seit 2018 führt das IGES-Institut im Auftrag der KBV das PraxisBarometer Digitalisierung durch. An der nun fünften repräsentativen Befragung beteiligten sich 2.459 Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus ganz Deutschland. Die detaillierten Ergebnisse des Praxisbarometers finden Sie hier