25.04.2024

Showpraxis der KV Berlin

Digitalisierung zum Ausprobieren

Zwei Frauen mit dunkelrotem Pullover probieren die Selbstmessstation für Vitalparameter in der Showpraxis der KV Berlin aus.
In Ländern wie den Niederlanden oder Spanien bereits im Praxisalltag integriert: Eine Selbstmessstation für Vitalparameter. Foto: KBV/Anna Michel

Wie können digitale Tools den Praxisalltag unterstützen? In der interaktiven Showpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin können sich Niedergelassene mit ihren Praxisteams über TI-Anwendungen wie den elektronischen Arztbrief (eArztbrief), Künstliche Intelligenz (KI) und alles informieren, was die Digitalisierung noch möglich macht.

 

„Hallo, ich bin Aaron, Ihr digitaler Telefonassistent. Wie kann ich Ihnen helfen?“, schallt es aus dem Telefonlautsprecher. Max Mustermann, unser Testpatient, braucht dringend ein neues Rezept für sein Medikament. Aaron sorgt jetzt dafür, dass Max Mustermann mit seinem Anliegen im System registriert wird und die notwendigen Informationen gespeichert werden. Der Eintrag wird je nach Kategorie farblich hinterlegt, das macht das Bearbeiten hinterher einfacher. Orange für Rezept, grün für Termin.

Beatrice Nauendorf (links), Referentin für Digitalisierung im Gesundheitswesen bei der KV Berlin, hat das Projekt von Anfang an begleitet. Foto: KBV/Celina Ritter

In der interaktiven Showpraxis DEMO der KV Berlin können sich Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Praxisteams mit digitalen Anwendungen vertraut machen. Ziel ist es, Berührungsängste abzubauen und die digitale Kompetenz von Praxismitarbeitenden zu steigern. Denn im stressigen Arbeitsalltag kommt dieser Aspekt häufig zu kurz. Neue verpflichtende Anwendungen wie das elektronische Rezept (eRezept) können schnell überfordernd wirken und häufig fehlt die Zeit, sich eingehend damit zu beschäftigen und die langfristigen Vorteile wertzuschätzen.

Digitale Innovationen im Praxistest:

Das digitale Tool Aaron.ai wurde im Rahmen der KBV-Zukunftspraxis getestet. Die Idee hinter dem Projekt war, ausgewählte digitale Innovationen im Alltag von Praxen testen zu lassen. Zehn Gewinner – darunter der interaktive Telefonassistent Aaron – gingen aus dem Wettbewerb hervor. Alle Anwendungen wurden zwischen 2019 und 2022 in jeweils einjährigen Testphasen von Praxen erprobt.

Der Telefonassistent Aaron.ai ist eines von vielen digitalen Tools, die direkt vor Ort ausprobiert werden können und eine Antwort auf die zentrale Frage liefern: Wie können digitale Anwendungen den Praxisalltag unterstützen? Denn vor allem sorgen Aaron oder vergleichbare Softwares dafür, dass keine Medizinischen Fachangestellten (MFA) Anrufe direkt entgegennehmen müssen.

Denn wer kennt es nicht? Es ist Montagmorgen, 9 Uhr. Max Mustermann versucht schon zum dritten Mal, jemanden in seiner Hausarztpraxis zu erreichen – vergeblich. Und hinter dem Praxistresen sitzt eine gestresste MFA. Die Schlange vor dem Tresen ist lang, das Telefon klingelt pausenlos und die Kollegin liegt krank im Bett.

E-Health erleben

DEMO steht für „digital.erleben.miteinander.offen“ – und genau dazu werden Besucherinnen und Besucher der Showpraxis aufgefordert. „Bei uns passiert ganz viel mit den Händen. Wir wollen, dass die Besucherinnen und Besucher selbst aktiv werden und mit uns ins Gespräch kommen“, erklärt Beatrice Nauendorf, Referentin für Digitalisierung im Gesundheitswesen bei der KV Berlin.

Nauendorf hat das Projekt von Anfang an begleitet, ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Service und Beratung führen die Praxisteams regelmäßig durch den Raum. „Uns ist wichtig, dass sie das Ganze als eine Teamaufgabe sehen und alles gemeinsam erleben“, betont sie weiter. Angeboten werden sechs Führungen in der Woche, zusätzlich gibt es noch einen Abendtermin im Monat. In zweieinhalb Stunden, aufgeteilt in einen theoretischen und einen praktischen Teil, haben Gruppen von bis zu sieben Personen die Gelegenheit, zu fragen, zu diskutieren und auszuprobieren.

In den ersten zehn Minuten der Führung werden erst einmal Erwartungen an den Besuch abgeklopft und auch beim Buchungsvorgang selbst haben Interessierte die Möglichkeit, Schwerpunkte für ihren Rundgang zu setzen. „Wenn Praxisteams zu uns kommen, berichten sie von ihren Stolpersteinen im Alltag und mit welchen Problemen sie in der Praxis konfrontiert sind. Insgesamt sind sie sehr neugierig und wollen viel ausprobieren“, erzählt Nauendorf. „Es kam auch schon mal vor, dass jemand mit zwei Seiten Fragen bei uns ankam.“

Es zeigt sich: Die Wünsche und Erwartungen der Besucherinnen und Besucher der Showpraxis sind sehr individuell. Wie Nauendorf berichtet, sei die Showpraxis für die KV Berlin eine gute Möglichkeit, mit ihren Mitgliedern in Kontakt zu treten. „Wir kriegen hier sehr viel zurückgespiegelt, was die Praxen wirklich bewegt“, erzählt sie.

Eine Frau im rotem Pullover erklärt in der Showpraxis der KV Berlin die unterschiedliche Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen am Beispiel einer Software zur Darstellung von Operationen oder Krankheitsbildern.
In der Showpraxis können auch verschiedene Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) ausprobiert werden. Hier handelt es sich um eine Software, die im Rahmen von Patientengesprächen eingesetzt werden kann, um beispielsweise Operationen oder Krankheitsbilder zu visualisieren. Foto: KBV/Celina Ritter

Feedback ist elementar

Zu Beginn eines geführten Rundganges erhalten Besucherinnen und Besucher jeweils ein Tablet, mit dem sie Informationen individuell abspeichern und im Anschluss an die eigene E-Mail-Adresse senden können. Dafür wird das Tablet an einen markierten Punkt gehalten, sodass sich das große Display mit dem kleinen Tablet verknüpft. Auf dem Tablet erscheinen dann detailliertere Informationen zu den ausgewählten Themen.

Die Inhalte der Hands-on-Stationen sind sehr praxisnah wie der Berufsalltag der Besucherinnen und Besucher. Welche Strategien sind in der Patientenversorgung hilfreich? Nach ein paar Klicks ist der Wissenshunger gestillt. „Es ist tatsächlich so, dass Praxen nicht immer wissen, was sie über Digitalisierung erfahren möchten. Einige Praxen wissen das schon sehr genau. Sobald sie dann mit bestimmten Themen in Berührung kommen, ist das Interesse aber riesig“, so Nauendorf.

Die theoretisch gewonnenen Kenntnisse können an zwei mit Praxisverwaltungssystemen ausgestatteten Arbeitsplätzen direkt in die Praxis umgesetzt werden. Hier können Besuchende den Umgang mit Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI), wie das eRezept oder den eArztbrief, üben.

An zwei Arbeitsplätzen können Besuchende digitale Anwendungen direkt ausprobieren. Foto: KBV/Anna Michel

Alles ist hier in Bewegung, man lernt voneinander. Angefangen bei den Besuchenden, die in der Showpraxis Digitalisierung zum Anfassen erleben, bis zu den Inhalten selbst. Denn das Projekt lebt und verbessert sich vor allem auch durch diejenigen, die es ausprobieren, wie Nauendorf erklärt: „Wir haben auch das Feedback bekommen, dass Besucherinnen und Besucher sich weniger Text wünschen und Infos eher visuell aufbereitet werden sollen. In Zukunft werden wir daher auch beispielsweise mehr Schaubilder und Videos integrieren.“

Deshalb ist der Raum so angelegt, dass Inhalte je nach Aktualität ganz einfach ausgetauscht werden können. Alle drei Monate wird überprüft, was für Besuchende besonders interessant ist. Außerdem werden die Praxen nach ihrer Führung stichprobenartig kontaktiert und nach ihren Erfahrungen gefragt oder wo sie Nachbesserungsbedarf sehen. „Aktuell gehört die ePA (elektronische Patientenakte; d. Red.) zu den Topthemen“, sagt Nauendorf. „Bis zum Anfang des Jahres wollten natürlich alle mehr über das eRezept erfahren, das hat aber deutlich abgenommen.“

Und bekanntermaßen entwickeln sich auch KI-Anwendungen durch konstantes Ausprobieren weiter. „Laut des Anbieters war Aaron vorher zu menschlich. Es kam oft vor, dass Anruferinnen und Anrufer ihm beispielsweise Geschichten vom Wochenende erzählt haben. Die haben gar nicht erkannt, dass da kein Mensch am anderen Ende der Leitung sitzt“, erzählt Nauendorf schmunzelnd. „Es ist aber natürlich zielführender, wenn man erkennt, dass man mit einem Roboter spricht. Das musste dann angepasst werden.“

An einer Self-Check-In-Station können Patientinnen und Patienten sich selbst in der Praxis anmelden. Foto: KBV/Celina Ritter

Innovationen für die Praxis

Neben dem KI-gestützten Telefonassistenten Aaron.ai gibt es zwei weitere Anwendungen, die in der Praxis in Zeiten von MFA-Mangel für Entlastung sorgen können. Da kann es ungemein helfen, wenn eine KI die Anrufe annimmt und eine MFA – vielleicht sogar im Homeoffice – die Einträge bearbeitet oder die Patientinnen und Patienten sich bei der Self-Check-In-Station selbst anmelden können.

Eine dieser Anwendungen und ein absolutes „Highlight“ der Showpraxis ist die Selbstmessstation für Vitalparameter, mit dem die Patientinnen und Patienten eigenständig ihre Vitaldaten erfassen können. Etwas versteckt am Ende des Raums steht das hochmoderne Gerät, welches auf den ersten Blick aussieht wie ein kleiner Roboter. „Bitte sitzen Sie still und reden Sie nicht!“ – Anweisungen und Abfragen auf dem Display machen die Messung des Blutdrucks kinderleicht.

Schritt für Schritt begleitet das Gerät die Patientinnen und Patienten von der Messung des Gewichts, über die Körpertemperatur bis zum Blutsauerstoff und -druck. Als fester Bestandteil von Praxen automatisiert das Gerät Arbeiten wie das Abspeichern der Daten. Das Gerät hat ebenso den Vorteil, dass Patientinnen und Patienten mehr Verantwortung für sich und ihren Arztbesuch übernehmen, wenn sie selbst eingebunden werden. Am Ende werden die Werte, inklusive des errechneten Body-Mass-Index (BMI), ausgedruckt.

Ebenso neuartig erscheint dem Laien folgendes Produkt: Eine Brille, die einem das Gefühl gibt, in geheimer Mission unterwegs zu sein. Aufgesetzt fühlt man sich wie James Bond oder Ethan Hunt. Es handelt sich um eine Brille mit Head-up-Display, die unter anderem in der Bergrettung eingesetzt wird. Wichtige Informationen werden ins direkte Sichtfeld projiziert. In der Showpraxis DEMO bekommt Digitalisierung zum Ausprobieren Geheimagenten-Flair.

Eine Frau testet Smart Glasses in der Showpraxis der KV Berlin.
Großes Potential im Gesundheitswesen: Smart Glasses ermöglichen es unter anderem, Patientinnen und Patienten aus der Ferne zu behandeln. Foto: KBV/Celina Ritter

Interesse ist riesig

Das Interesse ist riesig. Schon innerhalb einer Stunde waren die ersten Führungen ausgebucht. „Teilweise wurden sechs Stunden Zugfahrt auf sich genommen, um hier eine zweieinhalbstündige Führung mitzumachen“, berichtet Nauendorf. Die Showpraxis im Eingangsbereich im Gebäude der KV Berlin in der Masurenallee ist nach dipraxis, die digitale Praxis der KV Westfalen-Lippe, die zweite ihrer Art. Kurz nach der Showpraxis eröffnete die dritte Ausstellung in der KV Nordrhein, die praxis4future. Es ist geplant, dass die Showpraxis zukünftig für Patientinnen und Patienten im Rahmen von Themenveranstaltungen geöffnet wird, damit diese sich ebenfalls mit den digitalen Anwendungen vertraut machen können. Außerdem steht die KV Berlin in engem Austausch mit der KV Bayerns, die eine ähnliche Showpraxis plant.

Über DEMO der KV Berlin:

DEMO ist das übergeordnete Konzept der KV Berlin, von dem die Showpraxis nur ein Baustein ist. Auch Veranstaltungen für Patientinnen und Patienten, wie beispielsweise die sogenannten „Kamingespräche“, werden einmal im Monat angeboten. Das Kamingespräch ist eine Veranstaltung für erfahrene Leistungserbringer über 60 Jahre. Informationen zu weiteren Veranstaltungsformaten finden Sie hier.

Die Showpraxis in Berlin hat am 7. November 2023 ihre Türen geöffnet. Einen ersten Austausch zu dem Projekt gab es bereits ab Sommer 2022, ab November 2022 wurde es dann konkreter. Die Bauphase begann dann im Januar letzten Jahres. Der Bereich E-Health der Stabstelle Unternehmensplanung und Organisationsentwicklung war bei dem Riesenprojekt federführend, stand bei der Entwicklung aber auch in engem Austausch mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, der IT sowie dem Service und der Beratung der KV. „Die Erstellung und der Aufbau der Inhalte war die größte Herausforderung und hat am längsten gedauert“, erläutert Nauendorf. Auch da war die KV im engen Austausch mit den Praxen, hat im Entwicklungsprozess aber auch sehr viel Unterstützung durch die KV Westfalen-Lippe erfahren.

Anna Michel und Celina Ritter