15.09.2021

Finale für die Pandemie?

Das Foto zeigt zwei Hände in blauen Einmalhandschuhen, die eine Spritze mit einer Ampulle des Covid-19-Impfstoffs COMIRNATY von BioNTech / Pfizer aufziehen.
Einfache Impfangebote ohne Terminvereinbarung sollen helfen, die Impfquote in Deutschland zu erhöhen. Foto: Imago / CHROMORANGE

Höchste Zeit für den Schlusspfiff! Längst ist klar, dass wir künftig mit Corona leben müssen. Aber für die Pandemie könnte demnächst das Spiel aus sein – nicht zuletzt dank der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Denn fast alles hängt vom Impfen ab.

 

„Ich gehe davon aus, dass im Frühjahr 2022 Schluss sein wird mit der Pandemielage“, ist Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), zuversichtlich. Nach seiner Einschätzung könnte die Corona-Pandemie in einem guten halben Jahr überstanden sein. „Bis dahin wird die Impfquote noch einmal etwas höher liegen. Vor allem nimmt aber auch die Zahl der Genesenen mit Antikörpern zu. Spätestens dann werden Einschränkungen im öffentlichen Leben wohl gänzlich unnötig werden.“ Gassen wirbt dafür, noch Unentschlossene von der Impfung zu überzeugen.

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Foto: Imago / Christian Thiel

„Hier sollte der Hauptfokus der Anstrengungen liegen, noch vor den Auffrischimpfungen.“ Der Vorstandsvorsitzende plädiert für einfache Impfangebote ohne Terminvereinbarungen: „Wir müssen Vertrauen in die Impfung erreichen und sie nicht mit Zwang durchsetzen wollen. Die Impfung ist sicher. Das müsste bei den meisten mittlerweile angekommen sein.“

Der KBV-Chef rechnet zwar damit, dass die Infektionszahlen im Herbst wieder ansteigen werden. Dennoch ist er optimistisch, dass das Gesundheitssystem durch diese Entwicklung nicht ermattet. „Ich erkenne in der Ärzteschaft momentan keine großen Sorgen, dass das Gesundheitssystem noch kollabieren könnte. Die Zahl schwerer Erkrankungen wird deutlich unter dem Niveau des letzten Winters bleiben. In diesem Sinne ist etwas mehr Gelassenheit ratsam, ohne gleich leichtsinnig zu werden.“ Gebe es keine problematische Auslastung der Intensivbetten, könnten wir hierzulande alle Maßnahmen aufheben, ist Gassen überzeugt.

Klarheit für Booster-Impfungen

Während einige Menschen – aus unterschiedlichsten Gründen – bislang auf eine Impfung gegen Covid-19 verzichtet haben, ist zwischenzeitlich schon das Thema Auffrischungsimpfungen Teil der öffentlichen Debatte. Gassen: „Wenn wir uns an der Größe der Gruppen orientieren, die zu Beginn der Impfkampagne die ersten Dosen erhalten haben, dann wären jetzt etwa bei acht Millionen Menschen Booster-Impfungen fällig.“

Eine Seniorin im Wartezimmer: Die Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind auch auf Auffrischimpfungen gut vorbereitet. Foto: IMAGO/Manuel Geisser

Selbstverständlich könnten diese Impfungen in den Praxen vorgenommen werden. „Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen haben eindrucksvoll bewiesen, dass mit ihnen der Impffortschritt erst richtig Fahrt aufgenommen hat. Doch die Praxen und ihre Teams brauchen Klarheit, wann und für wen Impfungen vorgenommen werden können“, sagt Gassen und fordert, eine möglichst klare wissenschaftlich begründete Definition zu haben, für wen eine Booster-Impfung sinnvoll wäre. „Nicht vergessen dürfen wir, dass ab dem Herbst auch wieder die Grippesaison einsetzen wird. Sinnvoll wäre eine mögliche Kombination beider Impfungen.“ Der KBV-Chef begrüßt die Einschätzung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). In einem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz heißt es, das PEI erwarte bei der Co-Administration von inaktivierten Influenza- und Covid-19-mRNA-Impfstoffen (Impfungen am gleichen Tag an unterschiedlicher Extremität) keine deutlichen Unterschiede in der Immunogenität.

„Wir erwarten mit Sicherheit einige Auffrischungsimpfungen, was Corona angeht“, urteilt der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. Bedauerlicherweise gebe es da bisher aber noch keine wirklich klaren, wissenschaftlich hinterlegten Richtlinien, wonach sich die Niedergelassenen richten könnten. Hofmeister: „Das führt dazu, dass verunsicherte Bürgerinnen und Bürger natürlich nachfragen: Was ist denn jetzt? Soll ich, soll ich nicht? Derzeit spricht wissenschaftlich alles dafür, dass man lediglich sehr alte und immungeschwächte Patientinnen und Patienten ein weiteres Mal impfen muss.“ Das wäre laut dem KBV-Vize eine überschaubare Zahl. Und dies wäre von den Praxen trotz der Grippeschutzimpfung im Winterhalbjahr gut zu leisten.

Praxen gut vorbereitet

Und die Vertragsärztinnen und -ärzte sind auch hier wieder sehr gefragt. „Mit der jetzt bisher wissenschaftlich belegten Notwendigkeit für Auffrischungsimpfungen sind das Zahlen, die gut in den Praxen zu bewältigen sind“, konstatiert Hofmeister. „Da sehen wir keine Erforderlichkeit mehr für Impfzentren.“ Grundsätzlich sei das, was an Dritt-Impfungen anstehe, in den Praxen zu bewältigen. Zweifel daran, dass die Arztpraxen samt ihrer Teams nicht gut genug vorbereitet sein könnten, zerstreut Hofmeister: „Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der so viel Erfahrung im Umgang mit Corona hat wie die Vertragsärztinnen und -ärzte sowie die Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die das ja seit anderthalb Jahren stemmen.“ Die große Last der Infizierten und Verunsicherten, der Erkrankten, aber auch derer, die nur Sorgen gehabt hätten, seien in den Praxen gewesen. Die Praxen seien bestens vorbereitet.

Hofmeister: „Sie sind ausgerüstet. Inzwischen gibt es Schutzmaterial. Dennoch ist der Aufwand weiterhin höher als früher, der Hygieneaufwand, auch der Aufwand der Sprechstunden-Organisation. Insofern sind die Praxen vorbereitet. Sie sind routiniert, aber der Arbeitsanspruch ist höher geworden.“ Aus diesem Grund lobt Hofmeister ausdrücklich die „ungeheure Leistungsbereitschaft“ der Praxen und ihrer Teams. „Auch als es am Anfang ganz schwer war, haben die Praxen ihren Job gemacht, haben Stellung gehalten, haben die Menschen hier im Land zuverlässig, wohnortnah und flächendeckend versorgt. Und das ist eine ganz großartige Leistung, die aus meiner Sicht politisch nach wie vor nicht ausreichend gewürdigt wurde.“

Inzidenz als Indikator

Immerhin hat die Politik im Umgang mit dem Pandemie-Geschehen inzwischen einen anderen Kurs eingeschlagen. So hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagen, künftig nicht ausschließlich auf die 50er-Inzidenz als Indikator in der Pandemie zu setzen. Im Infektionsschutzgesetz war die Inzidenz von 50 ein zentrales Kriterium für die Verschärfung oder Lockerung von Corona-Maßnahmen. Nun liegt der Fokus auf der Hospitalisierungsrate – damit ist die Zahl der Covid-19-Patienten gemeint, die im Krankenhaus liegen.

Vielerorts gelten in Deutschland die 3G-Regeln: Wer in ein Restaurant oder ins Kino möchte, muss geimpft, getestet oder genesen sein. Foto: Imago / Michael Gstettenbauer

KBV-Chef Gassen begrüßt das Umdenken: „Die vom Bundesgesundheitsminister vorgeschlagene Abkehr von der 50er-Inzidenz als bisher alleiniger ausschlaggebender Wert für schärfere Maßnahmen ist zu begrüßen und richtig. Es müssen weitere Kennzahlen eingebracht werden, um die Corona-Lage adäquat beurteilen und daraus Handlungsoptionen für politische Entscheidungen ableiten zu können.“ Die Belegung der Intensivbetten als weitere Kennzahl heranzuziehen, stelle einen Schritt in die richtige Richtung dar, sei aber alleine nicht ausreichend. „Wichtig sind zusätzliche Parameter wie regionale Impfquoten oder die Altersstruktur der Infizierten, um ein umfassendes Gesamtbild zu erhalten“, so Gassen.

 

Thomas Schmitt

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