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16.08.2024

Hannelore König

„Die MFA müssen wissen, dass ihr Arbeitgeber zu 100 Prozent hinter ihnen steht“

Hannelore König ist selbst Medizinische Fachangestellte und seit 2020 vmf-Präsidentin. Foto: Tanja Marotzke

Hannelore König ist Medizinische Fachangestellte (MFA) und Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe e. V. (vmf). Im Klartext-Interview erklärt sie, warum MFA immer häufiger Anfeindungen und Bedrohungen in ihrem Praxisalltag erleben und was notwendig ist, um die Gewaltspirale zu stoppen.

Woran liegt die Gewaltzunahme in Praxen?

Der Grund dafür ist aus meiner Sicht eine Erwartungshaltung, die insbesondere in der Pandemie entstanden ist. In dieser Zeit gab es eine Mangelsituation, in der nicht genügend Impfstoff vorhanden war. Diese Situationen kennen wir auch schon von den Grippeimpfungen, wenn der entsprechende Impfstoff nicht rechtzeitig da war. So war es auch mit dem Impfstoff in der Pandemie. Er war nicht in ausreichender Zahl verfügbar und dadurch ist eine sogenannte Ellenbogengesellschaft entstanden. Alle – das ist durchaus nachvollziehbar – wollten sich schützen. So haben viele eben versucht, über die MFA an diese Mangelware zu kommen.
 
Gleichzeitig wurden durch die politisch Verantwortlichen Erwartungen geweckt, die durch die Knappheit nicht erfüllt werden konnten. Wenn beispielsweise an einem Freitagmittag bei einer Pressekonferenz in Berlin etwas verkündet wurde, dann haben viele Patientinnen und Patienten eine direkte Umsetzung von den MFA erwartet, wenn am Montagmorgen um 7.30 Uhr die Praxistür aufging.
 
Das hat die Situation auf ein Niveau gebracht, von dem es aus meiner Sicht schwer ist, wieder herunterzukommen. Die Diskussion ist gerade jetzt wieder brandaktuell: Wir sehen den Mangel, wir sehen die Unterfinanzierung im Gesundheitswesen. Das kommt auch bei den Patientinnen und Patienten an, wenn beispielsweise beantragte Heilmittel oder Rehamaßnahmen abgelehnt werden oder Termine nicht verfügbar sind. Das schürt die Unzufriedenheit. Der erste Frust und Druck wird häufig bei den MFA an der Anmeldung oder am Telefon abgelassen. Auch wenn bestimmte Arzneimittel wie Antibiotika nicht geliefert werden können, landen die Rückfragen und Beschwerden leider viel zu oft bei den MFA.

Wie können die Niedergelassenen und ihre Praxisteams besser geschützt werden?

Indem sie sich klare Konzepte zur Deeskalation überlegen. Fort- und Weiterbildungen zu Kommunikation in schwierigen Situationen sind entscheidend, ebenso Deeskalationstrainings. Auch konkrete Regelungen wie ein Gewaltschutzplan sind sehr hilfreich: Wie gehen wir in der Praxis konkret damit um? Wie sieht eine Gefährdungsbeurteilung aus? Und natürlich ist auch relevant, was im Rahmen vom Arbeitsschutz in diesen Situationen einzuhalten ist: Welche technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen können wir ergreifen, wenn jemand allein in der Anmeldung ist? Dazu muss es unbedingt feste Regeln geben.

Besonders wichtig ist es, dass die MFA zu 100 Prozent wissen, dass ihr Arbeitgeber hinter ihnen steht. Wenn es zu einem Vorfall kommt und sich eine Patientin oder ein Patient gegenüber der MFA beispielsweise im Ton vergreift, ist es enorm wichtig, dass die Ärztin oder der Arzt dies anspricht und sich hinter ihre oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellt.

Man muss den Vorfall aktiv angehen, weil jedes Trauma, das durch eine Aggression entsteht, verarbeitet werden muss und dafür gibt es Hilfe. Da sollte man sich trauen, dies in Anspruch zu nehmen und es nicht unter den Teppich zu kehren.

 

Was raten Sie MFA, die Gewalt in ihrem beruflichen Alltag erleben?

Sie sollen sich auf jeden Fall beraten lassen und die Situation bei ihrem Arbeitgeber ansprechen. Zum einen hat der Arbeitgeber dann die Möglichkeit, den Vorfall bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zu melden. Auch die MFA selbst hat die Möglichkeit, sich an die Berufsgenossenschaft zu wenden und ein Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen.

Es ist auch besonders wichtig, im Praxisteam darüber zu sprechen. Man muss den Vorfall aktiv angehen, weil jedes Trauma, das durch eine Aggression entsteht, verarbeitet werden muss und dafür gibt es Hilfe. Da sollte man sich trauen, dies in Anspruch zu nehmen und es nicht unter den Teppich zu kehren.

 

Wie könnten verbesserte Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung dazu beitragen, die Gewaltspirale zurückzudrehen?

Da ist aus meiner Sicht insbesondere die Politik gefragt. Folgendes Beispiel habe ich immer wieder im Kopf: Laut Sozialgesetzbuch V muss eine ausreichende medizinische Versorgung sichergestellt werden, aber selbst der Bundeskanzler und unser Bundesgesundheitsminister werden nicht müde, die gute medizinische Versorgung in Deutschland zu betonen. Zwischen „ausreichend“ und „gut“ liegen allerdings, wenn man es im Schulnotensystem betrachtet, zwei Noten. Gerade die politisch Verantwortlichen sollten ehrlich sein in ihrer Kommunikation und sich schützend vor die Gesundheitsberufe stellen, genauso wie die Arbeitgeber sich vor ihre Teams stellen.

Die Fragen stellte Anna Michel