02.09.2022

Nachgefragt bei ...

Dr. Stephan Hofmeister

Das Foto zeigt Dr. Stephan Hofmeister, den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Foto: Lopata/axentis.de.

Wie beurteilen Sie den vom Apothekerdachverband ABDA veröffentlichten Katalog pharmazeutischer Dienstleistungen?

Das ist ein fundamentaler Angriff auf die hausärztliche Versorgung. Angesichts der Versprechungen der Politik, die hausärztliche Versorgung stärken zu wollen, mutet das fast schon zynisch an. Nur die Ärztinnen und Ärzte weisen eine qualifizierte Heilkundeerlaubnis auf, die unter anderem die Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und Differenzialdiagnosen sowie Pharmakotherapie umfasst. Die Apotheker haben dieses Wissen nun einmal nicht. Daher sind diese pharmazeutischen Dienstleistungen inhaltlich fragwürdig und teuer. Da die Krankenkassen offensichtlich über genügend finanzielle Mittel zu verfügen scheinen, wäre es nur konsequent, die letztlich fundiertere ärztlich-medizinische Betreuung mindestens auf das den Apotheken zugestandene finanzielle Niveau anzuheben. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen erbringen die gleichen Leistungen, trotz der besseren fachlichen Qualifikation, derzeit zu einem deutlich geringeren Satz.

Bis zum 30. November ist die telefonische Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (AU) bei leichten Atemwegserkrankungen wieder möglich. Reicht das?

Dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen hat, dass eine Arbeitsunfähigkeit nach telefonischer Anamnese bei Erkrankungen der oberen Atemwege mit leichten Symptomen bescheinigt werden darf, ist richtig. Wir wollen ermöglichen, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte unabhängig von der Corona-Pandemie bekannte Patientinnen und Patienten telefonisch krankschreiben können. Einen solchen Vorschlag haben wir bereits in die Beratungen des G-BA eingebracht. Eine telefonische AU wäre dann – sofern ein Arztbesuch nicht unbedingt notwendig ist – sowohl bei Infekten als auch bei anderen Erkrankungen für bis zu sieben Tage möglich. Dies würde die Arztpraxen dauerhaft entlasten. Aktuell sind die Praxen voll mit Infekten und Covid-19-Erkrankungen. Die Möglichkeit der Telefon-AU schafft hier eine deutliche Entlastung und auch die Ausbreitung von Infekten über die Wartezimmer kann reduziert werden.“

Apropos „Ausbreitung von Infekten“: Wie sieht ein vernünftiges Pandemiemanagement für Herbst und Winter aus?

Es ist zwingend notwendig, dass nicht mehr die reine Entwicklung der Inzidenzzahlen im Vordergrund steht, sondern dass ein digitales Echtzeitlagebild zum Einsatz kommt, das die Krankheitslast nach Altersgruppen sowie die Kapazitäten der Krankenhäuser auf Stadt- und Kreisebene differenzierter abbilden kann. Es liegen Vorschläge für drei unterschiedlich schwer verlaufende Szenarien im Herbst und Winter auf dem Tisch, die bereits von der Weltgesundheitsorganisation WHO gemacht worden sind. Die Ausgangsvoraussetzungen, etwa was die Impfquote, aber auch die Quote der bereits Genesenen angeht, sind deutlich besser als noch vor einem Jahr. Eine gefährliche Überlastung des Gesundheitswesens in Deutschland in Herbst und Winter ist bei diesen Grundvoraussetzungen nicht realistisch und dient bestenfalls als Schreckgespenst. Wichtig ist es, der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit gut koordinierter und gegebenenfalls notwendiger Maßnahmen plausibel und nachvollziehbar zu vermitteln. Nur so lässt sich Akzeptanz erreichen. Es geht in erster Linie um eine Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen. Prinzipiell ist es wichtig, dass Entscheidungen und Regeln nach wissenschaftlicher Studienlage und nicht nach politischen oder persönlichen Vorstellungen gelten. Das trifft auch aufs Impfen zu. Wir orientieren uns bei der Frage der Impfempfehlung ganz klar an der Ständigen Impfkommission (STIKO). Die STIKO spricht ihre Empfehlungen nach medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien aus. Daran sollten sich alle halten. Grundsätzlich ist es vor allem richtig und wichtig, dass Impfungen in der bestehenden Regelstruktur, also hauptsächlich in den Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, stattfinden. Testungen müssen wir zielgerichtet einsetzen – und zwar grundsätzlich nur bei symptomatischen Personen nach ärztlicher Indikation. Die immens teuren Massentestungen ohne Anlass sind sinnlos.

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