16.09.2021

Nachgefragt bei ...

Dr. Thomas Kriedel

Das Foto zeigt Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Foto: Lopata/axentis.de

Manche sehen in der Digitalisierung des Gesundheitswesens eine Art Allheilmittel. Wie kritisch beurteilen Sie das?

Der Weg der Digitalisierung ist längst geebnet. Er ist auch notwendig und muss kommen. Unsere Sorge bei der KBV ist jedoch, dass vieles zu schnell geht, dass die Forderungen zu hoch sind oder dass der Gesetzgeber Termine vorgibt, die in der Realität gar nicht zu halten sind. Oftmals hat man dann meist auch keine Möglichkeit, kurzfristig und schnell zu reagieren, da es sich eben in vielen Fällen um ein Gesetz handelt. Wir haben immer die Sorge, dass es dann heißt, die Ärzteschaft lehne das ab, blockiere und wolle das alles gar nicht. Das ist allerdings völlig falsch. Unser Standpunkt ist klar: Wir wollen nur Anwendungen haben, die funktionieren und den Praxisalltag erleichtern und nicht stören. Deshalb legen wir beispielsweise großen Wert auf vorherige Feldtests. Mit diesen gewinnen wir Zeit, um alles vorher auszutesten und den Praxen genügend Zeit zu geben, ihre eigenen Abläufe auch darauf anzupassen. Gerade bei den Massenanwendungen fordern wir aus gutem Grund, dass alles ausreichend vorgetestet sein muss: Es dürfen nur entsprechend erprobte Anwendungen zum Einsatz kommen – und zwar bei allen, die damit arbeiten sollen: bei der Arztpraxis, den Krankenkassen, den Apotheken und den Krankenhäusern.

Laufen nicht gerade bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) Tests?

Bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist vor Kurzem ein Feldtest gestartet, allerdings mit einer sehr geringen Teilnehmerzahl: Nach dem letzten Stand sind daran nur eine Krankenkasse und eine Praxis beteiligt. Der Test läuft bis Ende September. Die Übergangsfrist gibt nun immerhin – auch der Industrie – die Gelegenheit, noch mal nachzubessern, wenn Fehler auftreten. Bis zum 1. Oktober, wie ursprünglich als Startdatum geplant, wäre das gar nicht möglich gewesen. Insofern ist der Zeitdruck etwas raus. Es hat sich gezeigt, dass viele Komponenten von vielen Herstellern am 1. Oktober in den Praxen noch nicht ausreichend verfügbar sein werden. Deshalb bin ich froh, dass es mit dem GKV-Spitzenverband gelungen ist, über den Bundesmantelvertrag eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2022 zu erreichen. Das heißt konkret: Wer die Komponenten noch nicht hat, der kann und braucht ab dem Stichtag 1. Oktober auch noch nicht diese eAU einzusetzen. Aber wer über die Komponenten verfügt, der soll sie einsetzen. Und ich persönlich möchte auch dafür werben, dass es auf jeden Fall gemacht wird, damit die Praxis auch diese Übergangszeit noch nutzen und sich vergewissern kann, dass beim Einsatz dieses neuen Instruments keine Schwierigkeiten auftreten.

Aber die nächsten Anwendungen lassen auch nicht mehr lange auf sich warten. Wie sieht es da aus?

Natürlich sind wir froh, dass bei der eAU den Praxen mehr Zeit gegeben wird. Aber in der Tat stehen die nächsten Anwendungen ja schon vor der Tür. Da ist zum 1. Januar das eRezept. Und danach wird dann auch die elektronische Patientenakte, kurz: ePA, eine größere Bedeutung erhalten, da mit dem Impfpass, Mutterpass, Kinderuntersuchungsheft und Zahnbonusheft echte digitale Inhalte hineinkommen. Basis sind da die Medizinischen Informationsobjekte, die wir für die ePA entwickelt haben. Dafür sind auch weitere technische Voraussetzungen zu schaffen. Es kommen neue Konnektoren. Es muss die Komfortsignatur für das eRezept eingeführt werden. Das heißt, der Zeitdruck bleibt sehr hoch. Ich glaube, es wäre gut von politischer Seite, von Seiten des Parlaments und von Seiten der Gematik, dass man da noch mehr Zeitdruck für die Praxen rausnimmt. Aber auch den Herstellern der Komponenten muss mehr Zeit gegeben werden. Alle Beteiligten müssen diese Massenanwendungen mehr austesten können, um sie in Ruhe einzuführen. Beim eRezept gibt es derzeit einen Feldtest in Berlin-Brandenburg. Wir denken allerdings, dass der auf einem zu kleinen Niveau stattfindet. Maximal 50 Praxen – zurzeit sind, glaube ich, zehn bis 15 angeschlossen. Eine Anzahl von Apotheken muss dazu, ein Krankenhausinformationssystem muss dazu. Das Problem ist dabei, dass beispielsweise Stand heute nur zwei PVS-Systeme zertifiziert sind. Die anderen können das gar nicht. Es gibt über 100 Systeme. Man kann sich vorstellen, dass wir darauf Wert legen, dass jedes System ausgetestet ist, jedes System das kann. Und das macht uns große Sorge, dass Ende des Jahres nicht alle Systeme und alle Komponenten, die zusammenarbeiten müssen, nicht ausreichend getestet sind.

Zu einem ganz anderen Thema: Welche Probleme gibt es bei der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung (sQS)?  

Aus unserer Sicht ist die sektorenübergreifende Qualitätssicherung in der Entwicklung, die sie jetzt genommen hat, schlecht und schädlich für den Versorgungsalltag. Der Gesetzgeber hat einiges daran festgelegt, wie die sQS zukünftig aussehen soll. Selbstverständlich ist Qualitätssicherung notwendig. Aber sie soll die Praxen in ihren Qualitätsbemühungen unterstützen und fördern, aber nicht behindern. Das, was gerade jetzt im Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz angelegt worden ist, ist eine Verschärfung. Es ist aus unserer Sicht ein ungeeignetes Instrument, Qualitätssicherung zu befördern. Deshalb werden wir als KBV in dem politischen Bereich die Überzeugung wecken, dass die Vorgaben zu viel des Guten sind. Dazu haben wir ein Impulspapier mit unseren Kernforderungen zusammengestellt. Damit dürfte den politisch Verantwortlichen, gerade auch den neuen Bundestagsabgeordneten, klar werden, was eine solche Überforderung der Praxen bedeuten kann. Es ist schlichtweg eine Überforderung der Praxen, weil die Praxen dann mehr Zeit für Bürokratie in der Qualitätssicherung aufwenden müssen als für die eigentliche Qualitätssicherung.

 

 

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