10.05.2023

Im Gespräch

„Die Politik sollte Ärztinnen und Ärzte einfach mal ihre Arbeit machen lassen“

Das Foto zeigt Dr. Karsten Braun, den Vorstandsvorsitzenden der KV Baden-Württemberg.
Dr. Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg. Foto: KVBW

1. Was braucht es, um das System der ambulanten Versorgung für die Zukunft zu wappnen?

Zunächst einmal wäre ein klares Bekenntnis der Politik zur ambulanten Versorgung wichtig. Ich habe den Eindruck, dass der Fokus zu sehr auf die Rettung der Kliniken und die Interessensbefriedigung anderer Berufsgruppen gerichtet ist und weniger auf die ambulante Versorgung. Das finde ich fatal, denn in unseren Praxen wird der Hauptanteil der Versorgung geleistet. Wichtig wäre aus meiner Sicht weiter das Verständnis, dass wir die Praxen von Bürokratie entlasten müssen und wir sie nicht immer weiter belasten dürfen. Die Politik sollte Ärztinnen und Ärzten einfach mal ihre Arbeit machen lassen. Wenn man sich nur anschaut, was unter dem Signum des Datenschutzes alles an Bürokratie entstanden ist, was nichts mehr mit dem eigentlichen Datenschutz zu tun hat, dann wird vielleicht klar, was ich damit meine.

 

Und natürlich muss die Finanzierung des ambulanten Systems gesichert sein. Der EBM bildet die Strukturen in den Praxen mit immer mehr nicht-ärztlichen Berufen und angestellten Ärztinnen und Ärzten nicht mehr adäquat ab. Das funktioniert auf Dauer so nicht mehr. Und schlussendlich brauchen wir dringend funktionierende digitale Anwendungen. Ich wundere mich immer über die Kritik an den Praxen, dass sie bei den Anwendungen – elektronische Patientenakte (ePA) oder elektronisches Rezept (eRezept) – so zögerlich sind, aber niemand einmal fragt, wie viele Patientinnen und Patienten denn überhaupt über die Voraussetzungen verfügen. Die bisherigen Anwendungen sind eben nicht darauf ausgelegt, dass sie für die breite Masse geeignet sind – und schon gar nicht, dass sie in den Ablauf einer Arzt- oder Psychotherapeutenpraxis passen. Warum hier immer die Interessen der IT-Industrie bedient werden und nicht die Arbeitsfähigkeit der Praxen im Vordergrund steht, ist unverständlich.



2. Welches Thema liegt Ihnen für Ihre KV-Region in den nächsten Jahren besonders am Herzen?

Für uns stehen mehrere Themen im Vordergrund. Dazu gehört es, die Attraktivität der Niederlassung zu erhöhen. Bei aller Wertschätzung für die Kolleginnen und Kollegen in Anstellung, brauchen wir immer auch niedergelassene Mitglieder.

Die KV Baden-Württemberg

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg vertritt die rund 23.500 Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Südwesten Deutschlands. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Karsten Braun und seine Stellvertreterin Dr. Doris Reinhardt haben ihr Amt seit dem 1. Januar 2023 inne.

Denn wer Anstellung will, braucht auch Anstellende und die wiederum brauchen attraktive Rahmenbedingungen. Das betrifft dann wiederum mehrere Ansatzpunkte. Angefangen von der Vergütung bis zur Entbudgetierung. Und weiter wollen wir als KV unsere Services daraufhin überprüfen, inwieweit wir Entlastung für unsere Mitglieder schaffen können. Das betrifft dann beispielsweise, dass wir die Antragsprozesse digital zur Verfügung stellen wollen. Und weiter müssen wir den Notfalldienst weiterentwickeln. Hier wird sich dann beispielsweise die Frage stellen, inwieweit wir dort auch telemedizinische Angebote bereitstellen können. Schließlich wird die Sicherstellung ein zentrales Thema sein. Auch hier müssen wir über andere Formen nachdenken.

3. Wie möchten Sie es anpacken?

Meine Vorstandskollegin Doris Reinhardt und ich sind aktuell auf einer Tour durchs ganze Land, um uns mit den Mitgliedern auszutauschen. Die enge Verbindung zur Basis ist uns ganz wichtig. Wir nehmen hier jedes Mal gute Anregungen mit. Noch sind wir beide nicht weit vom Praxisalltag entfernt, aber das ändert sich natürlich. Auch die Ideen aus der übrigen KV-Welt Deutschlands bei Treffen der Vorstandskolleginnen und -kollegen in Berlin sind immer guter Input auf hohem Niveau. Und wir wollen uns mit vielen Personen und Institutionen auch außerhalb des Gesundheitswesens austauschen, um von dort Anregungen zu bekommen. Klar ist aber, dass wir eine klare Linie gegenüber der Politik fahren werden. Wir scheuen hier keine Auseinandersetzung.

Das Foto zeigt einen digitalen Zeigefinger mit der Aufschrift ePA, der auf einer Komputertastatur eine Taste mit der Aufschrift Patientenakte drückt.
Digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte (ePA) seien nicht für einen breiten Einsatz ausgelegt, sagt KVBW-Vorstandsvorsitzender Dr. Karsten Braun. Foto: IMAGO / Christian Ohde



4. Welche Bedeutung hat für Sie die ärztliche Selbstverwaltung?

Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie glatt erfinden. Natürlich sind die Prozesse oft ein wenig langsam. Aber gerade in Baden-Württemberg haben wir über Jahre hinweg ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Krankenkassen aufgebaut, das auch gut funktioniert. Und die Möglichkeit für regionale Lösungen ist ganz wichtig. Das ist auch das, was die Politik von uns zu Recht erwartet. Was dabei rauskommt, wenn die Selbstverwaltung es nicht regelt und dann die Politik einspringt, hat sich allzu oft in der Vergangenheit gezeigt: Nichts!



5. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ein offenes Ohr für unsere Anliegen und das Verständnis, dass in den Praxen die große Welle der Versorgung abgefangen wird. Und ich wünsche mir das Verständnis, dass das Gesundheitswesen ein sensibles Gebilde ist, das man nicht mal so geschwind umkrempeln kann mit kurzfristigen Zielen bis zur nächsten Wahl. Oder anders ausgedrückt: Vieles von dem, was mit großem Tamtam angekündigt wird, erweist sich hinterher als Schnellschuss. Das raubt dann aber Vertrauen. In Zeiten einer knappen Ressource Arzt kann es in der Gesundheitspolitik kein Wünsch-Dir-Was für alle geben. Und auch Politik und Krankenkassen sollten langsam mal begreifen, dass es qualitativ hochwertige ärztliche Leistungen in unseren Praxen nicht zu Dumpingpreisen geben kann.



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